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Der Zauberlehrling oder Die Teufelsjäger - ebook
Der Zauberlehrling oder Die Teufelsjäger - ebook
Ewers Geschichten kreisen um die Themen Phantastik, Erotik, Kunst bzw. Künstler und Reisen in exotische Länder. Seine teils äußerst drastischen Darstellungen machten ihn zum skandalumwitterten Bestsellerautor, gleichzeitig musste er sich immer wieder gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, seine Werke seien trivial, unmoralisch oder pornographisch. Hanns Heinz Ewers (1871-1943) war ein deutscher Schriftsteller, Filmemacher, Globetrotter und Kabarettist. Aus dem Buch „Der Zauberlehrling oder Die Teufelsjäger”: „Er sah hinüber und begehrte sie im Augenblicke. Diese Stirn war steil und nicht hoch, sie sprang zurück an beiden Schläfen. Die dichten schwarzen Brauen wölbten sich über den tiefblauen Augen, die die langen Wimpern beschatteten. Und die Nüstern der geraden Nase blähten sich und zitterten bei jedem Atemzuge. Ihr Mund schien ihm ein wenig zu gross, und die Lippen, leicht aufgeworfen, leuchteten wie starke Granatblüten in dem wachsbleichen Gesicht. Eine Demut, eine stille Sanftmut lag auf diesen weichen Zügen, aber darunter schien irgendein anderes zu schlummern.”
Kategoria: | Classic Literature |
Język: | Inny |
Zabezpieczenie: |
Watermark
|
ISBN: | 978-83-8136-699-1 |
Rozmiar pliku: | 2,7 MB |
FRAGMENT KSIĄŻKI
Wer Schönes hier und Zartes sucht,
der sei gewarnt! In diesen Blättern
schläft manches Grau'n, und aus den Lettern
grinst oft, was scheusslich und verrucht.
Osc. Panizza, Heilige Antonius.
»So kommen Sie doch mit!« sagte Frank Braun.
Der alte Pfarrer schüttelte den Kopf. »Unmöglich,« antwortete er, »es ist ganz unmöglich.«
— — Der kleine Gardadampfer hielt; die beiden stiegen mit der Menge an Land. Frank Braun suchte herum, fand endlich den Portier seines Hotels, winkte ihn heran und übergab ihm den Gepäckschein und die Handtaschen. Dann wandte er sich wieder dem Pfarrer zu.
»Darf ich Sie begleiten, Hochwürden?«
»Verzeihen Sie — nein.« sagte der Alte. »Ich muss ins Pfarrhaus, habe dort einiges zu erledigen. Aber wenn Sie gestatten, werde ich Sie heute abend im Hotel aufsuchen.«
»Es wird mir eine grosse Freude sein. — Also zum Abendessen, Don Vincenzo!«
Der Pfarrer gab ihm die Hand. »Auf Wiedersehn.«
Frank Braun ging langsam dem Hotel zu, das dicht am See lag. Er liess sich ein Zimmer geben, wusch sich, schrieb ein paar Briefe. Er machte einen Spaziergang; kam eben zurück, als das Gong schlug. Aber er ging nicht gleich in den Speisesaal, erst hinauf in sein Zimmer. Er rasierte sich sorgfältig, langsam genug; dann legte er den Abendanzug an. Man trug schon den dritten Gang auf, als er unten eintrat. Er fand den Pfarrer an einem kleinen Tische am Fenster sitzen.
»Ich habe Sie warten lassen,« entschuldigte er sich. »Es ist das eine schlechte Gewohnheit von mir — —« Er nahm die Weinkarte und liess sich von seinem Gaste Rat geben. Bald fand er die Marke, die jener liebte.
»Das ist merkwürdig.« lachte er. »Gerade das, was ich selber bevorzuge!«
Aber er trank kaum ein halbes Glas und ass ebensowenig. Er liess sich nicht nachservieren und sorgte nur, dass des Pfarrers Teller nimmer leer wurde. Beim Dessert schälte er ihm ein paar grosse Calvilleäpfel; der Alte ass sie zum Käse.
»Aepfel essen Sie auch nicht?« fragte er.
»Doch.« antwortete Frank Braun. Er nahm eine Scheibe und streute ein wenig Salz darauf.
Der Pfarrer schüttelte den Kopf. »Mit Salz? Aepfel mit Salz?«
»Gewiss, Hochwürden. So kann man erst den Geschmack des Apfels herausfinden.«
Der Pfarrer stippte sogleich seine Apfelscheibe in das Salzfass. »Zu viel, Don Vincenzo, zu viel!« lachte der Deutsche. Jener kratzte das Salz wieder ab.
»Ist es so gut?«
»Ja, so ists gut.«
Der Alte kostete. »Ja — ja — Sie haben recht. Der reine Geschmack kommt wohl bestimmter heraus. Ich werde mir das merken, Doktor; ich werde es nächstens unsern Bischof lehren. Der schätzt solche kleine Feinheiten. — Man muss eben den Dingen auf den Kern kommen!«
»Freilich, Don Vincenzo. — Das ist das Erste.«
»Erlauben Sie — — wieso das Erste?«
Frank Braun füllte das Glas seines Gastes. »Nun, ich meine — die Diagnose ist überall und immer das Erste. Wenn wir zum Beispiel einen Apfel machen wollen, so müssen wir doch erst genau wissen — —«
»Einen Apfel — machen?« unterbrach ihn der Priester. »Aber wir wollen doch keinen Apfel machen!«
Frank Braun sagte: »Warum wollen wir nicht? Wir wollen alles machen. Aber nehmen wir etwas anderes, wenn Ihnen die Zukunftkunst, einen Apfel zu machen, zu ferne liegt. Da ist eine Krankheit — sagen wir die Cholera. Erst in dem Augenblicke können wir daran gehen, sie wirksam zu bekämpfen, wenn wir die Bazillen, die die Krankheit erregen, und deren Lebensart genau kennen. Die genaue Erkenntnis ist immer das Erste — in allen Dingen. Nicht wahr, Hochwürden?«
»O ja — gewiss!« Der Pfarrer leerte sein Glas. »Jetzt verstehe ich, was Sie meinen, Doktor. Aber verzeihen Sie, so ganz bin ich doch nicht einverstanden, wenn Sie mir den Apfel plötzlich wegnehmen und dafür die Cholera hinsetzen. — Den Apfel wollten Sie — machen — — nicht wahr, Doktor? So wie er da Hegt, so wie er auf den Bäumen wächst. Von der Cholera aber wollen Sie gerade das Gegenteil: sie zunichte machen! Man soll sie bekämpfen — — aber doch nicht machen!«
Der andere lächelte. »Nein? — Und warum denn nicht? Sie freilich, Hochwürden, möchten sich allerdings nicht damit abgeben. Und ich — nun ich werde wohl auch kaum jemals eine Gelegenheit dazu haben. Aber andere Leute? Erfinden wir denn nicht in jedem guten Jahr irgendeine neue schöne Sache, um möglichst viele Menschen möglichst rasch und sicher vom Leben zum Tode zu bringen? Torpedos und Revolverkanonen? Unterseeboote und Kriegsflieger? Lyddit, Melinit, Nitroglycerin und all diese hübschen Dinge? Warum sollte man nicht irgendeine furchtbare Pest in Feindesland werfen, so eine schwarze oder gelbe Seuche, die besser arbeitet als alle Mordgewehre der Welt?«
Der Pfarrer bekreuzigte sich: »Heilige Mutter Gottes!« rief er. »Das mögen alle guten Heiligen verhüten!«
Der Deutsche nickte. »Ja, das hoffe ich auch. Ein Krieg ist immer dumm und man kann ihm nur sehr wenige Seiten abgewinnen, für die sich ein kleines Interesse lohnen möchte. Aber die Möglichkeit ist da, Seuchen zu machen, das geben Sie doch zu, Don Vincenzo? Jeder Pfuscher kann es — — heute schon. Aepfel machen freilich, das ist schwerer: aber wir werden auch das lernen — später einmal. Wir sind ja noch so jung.«
»Jung?«
»Nun ja, Hochwürden! Der älteste Mensch, dessen Knochen wir fanden, starb vor kaum dreieinhalb Millionen Jahren.«
»Und das nennen Sie jung?« Der Pfarrer sah ihn scharf an, gerade in die Augen. Hatte er nicht schon einmal — —? Aber er irrte sich gewiss. Nein, er hatte dieses Gesicht noch nie gesehen. Nur der Ausdruck erinnerte ihn — — ja, den kannte er doch! Lächelnd, überlegen, gefangennehmend — gegen allen Willen. Schon einmal hatten ihn diese Züge erschreckt — — irgendwo auf einem Bilde? Oder auf einer Zeichnung in einem alten Buche? Er besann sich, starrte sein Gegenüber an.
Glatt rasiert war dieses Gesicht, schmal und gebräunt. Die Augen hatten keine bestimmte Farbe, mochten blau sein oder auch grün oder grau. Ueber die hohe Stirne — leicht gewölbt über den schwachen Brauen — fiel eine wirre Strähne aschblonden Haares; die Lippen zogen sich ein wenig nach unten um den halboffnen Mund. Der Alte sah das gute, weisse Gebiss, hie und da blitzte das Gold dazwischen. Dieses Gesicht schien jung, sehr jung zu sein — und doch mochte es wieder alt sein — — wie alt nur? Die matten Opalaugen lachten nun, harmlos, fast gutmütig. »Wie ein guter Junge.« dachte der Pfarrer. — »Ein Kind, er ist ein rechtes Kind.«
Der Fremde erwiderte lächelnd diesen langen Blick. Nun aber kehrten sich seine Augen ab, irrten umher, blickten durch das offene Fenster zum See hinaus. Und der Pfarrer begriff sie schnell: verträumt, phantastisch, verirrte Späher aus Seelenland, wo alle Sehnsüchte wohnten. Dann wieder wandte jener den Kopf, blickte ihn voll an, ernst, fast drohend. Jetzt sah der Alte kaum des anderen Augen — aber er fühlte, fühlte diesen Blick. Und doch war ihm, als ob diese seltsame, beschwörende Kraft nicht daher komme. Oder — doch nicht allein daher — —
»Nein, nein, Hochwürden! Sie kennen mich nicht. Heute morgen, als Sie in Sirmione an Bord kamen, sahen Sie mich zum erstenmal.«
Der Deutsche lachte, und es war ein frisches, gesundes Kinderlachen.
»Was heisst das?« fragte der Pfarrer ein wenig verwirrt und doch gleich beruhigt durch das gutmütige Gelächter. »Sie können Gedanken lesen?«
»Ist das so schwer? Sie haben ein tell-tale-face — — so trinken Sie doch, Don Vincenzo!« Er füllte von neuem das Glas. »Rauchen Sie?« Er reichte ihm sein Etui. »Fast alle Menschen haben solche Gesichter und ganz besonders die Geistlichen. — Man hat Mühe, sich das abzugewöhnen. Es ist nicht gut, so als aufgeschlagenes Buch durch die Welt zu laufen.«
»Gott sei Dank können nicht alle Menschen lesen.«
»Richtig, Don Vincenzo, es gibt grässlich viel Analphabeten. — Aber da sind wir wieder: das Lesen ist das Erste. Das ist das Sehen, das Erkennen. Und dann erst kommt das andere — das Schreiben: das ist das Schaffen.«
»Das ist nicht für uns, lieber Doktor, nicht für die Priester.«
»Und doch weiss ich einen, der es wohl konnte.«
»Einen Priester?«
»Ja, er ist Priester wie Sie. Noch mehr: er ist Ihr Namensvetter, und ich denke, Sie sollten ihn kennen.«
»Vincenzo —? — Vincenzo Alfieri — Sie meinen doch nicht Pater Vincenzo Alfieri von Padua?«
»Gerade den meine ich.«
»Und Sie kennen ihn?«
»Ja, ich glaube, dass ich ihn gut kenne.«
»O, er ist ein begabter Mensch! Er war der beste Prediger Italiens.«
»Er kann lesen und schreiben. Er ist ein Schaffender.«
»Erzählen Sie mir von ihm. Ich hörte ihn einmal in Padua sprechen — das war vor acht — nein vor neun Jahren. Ich weiss nicht mehr, was er sagte, aber ich werde nie in meinem Leben vergessen, wie er sprach. Es war, als trüge er meine Seele in weite Höhen. Wo ist er jetzt? Man sagt, der Papst habe — —«
Frank Braun unterbrach ihn: »Ja, ja — man sagt! Man sagt! — Uebrigens kann ich Sie versichern, Don Vincenzo, dass Seine Heiligkeit wirklich keinen Grund hatten, die Tätigkeit Alfieris abzubrechen. Es war eine läppische Intrigue der römischen Jesuiten und schliesslich eine reine Machtfrage gegen Kardinal Méry del Val, dessen Schützling er war. Ich bin überzeugt, dass der Papst das plumpe Spiel wohl durchschaute; aber er wollte eben dem Streit ein Ende machen. So schloss er das Kompromiss und sandte den Paduaner nach Spanien.«
»Er predigt nun in Spanien?«
»Ja, in Madrid. Und mit demselben gewaltigen Erfolg. — Aber ich sage Ihnen, die Bewegung, die er macht, ist ganz, ganz ungefährlich. Er ist ein Helfer der Kirche. — Sperrt ihn sechs Jahre lang in ein Kloster ein — und es mag ein Mahomet aus ihm erstehen oder ein Luther. Er liest, aber er erkennt nur wenig das, was er liest. Und so schreibt er — — verstaubte, abgegriffene Bücher.«
Der Pfarrer sah ihn verständnislos an: »Alfieri schreibt — —? Was schreibt er denn?«
Wieder lachte der Deutsche: »Gar nichts schreibt er natürlich! Aber er schafft — und was er schafft ist verstaubt und abgegriffen. Schlecht. Ungefährlich. — Aber immerhin: es schafft, schafft — — und darum liebe ich ihn.«
»Nun gut, Doktor — aber was in aller Welt schafft er denn?«
Frank Braun beugte sich weit über den Tisch. Er stützte die Ellenbogen auf die Platte und legte die Hände leicht nach vorne. Don Vincenzo fühlte wieder den leisen Zwang dieser seltsamen Augen, aber sein eigener Blick ruhte gebannt auf den Händen des andern. Grosse, starke Hände, Hände wie eines Raubtiers grausame Tatzen. Schmal die gespreizten Finger, aber knochig und dick in den Gelenken — — unerbittliche Hände, die sich wie Stricke um eine Kehle schnüren mussten. Wilde, mitleidlose, fürchterliche Hände — —
Daher kam es, daher, mehr noch wie aus den Augen — —
Der Pfarrer starrte auf diese Hände. Wie von weither kamen zu ihm die langsamen, fast feierlichen Worte:
»Der Paduaner schafft; ein Schöpfer ist er. Aus tausend Leibern reisst er tausend Seelen und schweisst sie zu einer in seiner Rede Flammen. Da stehen sie, Kinder, Weiber und Männer — jedes für sich — ein lächerliches Jammerbild! Und der Paduaner greift sie und formt sie und macht ein Grosses daraus, eine einzige starke Masse: ein gewaltiges, wahnsinniges Tier. — Das schafft er, das schafft er, Don Vincenzo!«
Dann seufzte er, lehnte sich langsam zurück. Er zündete eine Zigarette an, stiess in leichten Kringeln den Rauch von sich. »Nur leider, leider,« fuhr er fort und seine Stimme zuckte beinahe wehmütig, »kann er nicht gut lesen, der Paduaner. So zerschlägt er hunderttausend kleine Gedanken in all den Köpfen und gibt ihnen nicht einen andern dafür — einen — einen — grossen! Allen ergeht es wie es Ihnen erging, Don Vincenzo: zeit Ihres Lebens werden sie wissen, wie er sprach — — aber was er sagte, das haben alle vergessen! — Das Tier ist schon da, das herrliche, gewaltige Tier — — aber es kann nicht laufen, nicht beissen! — Ein Jammer ist es, ein Jammer! Ein Antichrist hätte er werden können — und bleibt zeit seines Lebens ein ungefährlicher Prediger! Wie gerne hätte ich ihn lesen gelehrt! — — — — Trinken Sie doch, Don Vincenzo!«
Der Pfarrer schwieg. Langsam ergriff er das Glas, hob es und stellte es wieder hin. Leise fragte er: »Herr Doktor, sind Sie katholisch?«
Die Frage kam schnell, plötzlich. Aber der andere zögerte nicht mit der Antwort.
»Augenblicklich nicht.« sagte er ruhig. »Wer weiss, ob ich es nicht wieder einmal werde!« — Er trommelte leicht mit den Fingern auf dem Tisch. »Aber lassen wir das, Don Vincenzo, wir wollen uns nicht über Religionen streiten! Ich sprach Sie, ein Wildfremder, heute morgen auf dem Dampfer an und Sie gaben mir so liebenswürdig Auskunft; es wäre recht undankbar von mir, wenn ich Sie jetzt in Dispute verwickeln würde, die immer ärgerlich werden.«
»Nein, nein!« lachte der Pfarrer. »Ich fürchte mich gewiss nicht. Ich stehe auf festem, starkem Grunde.«
»Glauben Sie?« Fast mitleidig klang des Deutschen Stimme. »Sie stehen da, wo Alfieri steht. Hart wie der Stein eurer Berge sieht dieser Boden aus und ist doch nur ein nie fassbares Gemisch loser Nebelflecken. Ah — ein Grund, ein Grund! Geben Sie diesem Manne nur einen festen Punkt, auf dem er stehen mag, und er wird Rom aus ihren Angeln heben! — Es ist immer wieder dasselbe: die grosse Erkenntnis. — Das ist das Geheimnis.«
»Ich verstehe Sie nicht, Doktor!«
»Das glaube ich, Hochwürden! — Aber wollen wir nicht das Thema fallen lassen? — — Ich bat Sie, mir einen stillen, einsamen Ort in Ihrem Sprengel zu nennen, wo ich ganz ruhig ein paar Monate bleiben könnte. Sie nannten mir Val di Scodra —«
»Ja,« sagte der Pfarrer kurz, »Val di Scodra.«
»Ist es still?«
»Ja.«
»Einsam?«
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