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Mein Abendlied: Hymnen - ebook
Mein Abendlied: Hymnen - ebook
Klasyka na e-czytnik to kolekcja lektur szkolnych, klasyki literatury polskiej, europejskiej i amerykańskiej w formatach ePub i Mobi. Również miłośnicy filozofii, historii i literatury staropolskiej znajdą w niej wiele ciekawych tytułów.
Seria zawiera utwory najbardziej znanych pisarzy literatury polskiej i światowej, począwszy od Horacego, Balzaca, Dostojewskiego i Kafki, po Kiplinga, Jeffersona czy Prousta. Nie zabraknie w niej też pozycji mniej znanych, pióra pisarzy średniowiecznych oraz twórców z epoki renesansu i baroku.
Kategoria: | Klasyka |
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FRAGMENT KSIĄŻKI
Mit einem Vorwort von
Wilhelm Feldman
In freier Übertragung des
Stanislaw Przybyszewski
Mit dem Bilde Kasprowicz
Berlin, 1905, F. Fontane & Co.
Vorwort
In der polnischen Literatur des XIX. Jahrhunderts thront ein Dichtertypus, den keine andere Literatur hervorgebracht hat: der Typus des Sehers, des Denkers und des Propheten. Diesen Typus hat der Charakter des Volkes geschaffen, jenes Volkes, das noch durch keinen Individualismus gebunden ist, übervoll von Lebenskraft und unmittelbarer Lebens-äufserung, die einerseits diesen Charakter vertieft, die Seele des Auserwählten an die Weltseele noch tiefer und mächtiger gefesselt hat, anderseits dem Dichter, dem Denker und dem Künstler die Vollmacht über das Volk gab.
Infolgedessen ist in Polen ein Begriff entstanden, der für jedes andere Volk unverständlich ist: der Begriff des König-Geistes, der durchaus kein Künstler ist, der da herrscht in Ruhm und in dem Königreich der Schönheit, durchaus kein Meister des Wortes und des Gedankens, der die intimsten Tiefen des Un-bewufsten ausdrückt, sondern der Begriff einer allempfindenden Seele, die mit magnetischer Kraft die
I
Seele eines ganzen Volkes in sich verkörpert. „Ich heifse eine Million, denn ich liebe für Millionen, und ich leide für sie Märtyrerqualen,” so hat der gröfste unter ihnen, Adam Mickiewicz, gesagt; er will dies Wort verkörpern, er will mit diesem Phantom die Welt verwundern, und diesem Ziel entgegen schreitet er durch Märtyrerqualen, durch Feueropfer in höchster ekstatischer Seelenbefreiung.
Ein Abkömmling des Prometheus, ist er jedoch nicht jener Faust, der an die verschlossenen Tore der Erkenntnis klopft, sondern verinnerlicht in sich jene zweite, höchststehende metaphysische Sehnsucht des menschlichen Geistes, die da ringt und ringt nach dem Guten und kämpft und kämpft, um dieses höchste Ideal zu verwirklichen, kämpft selbst mit dem allmächtigen Schöpfer und kämpft nicht mit dem Verstand des Gehirns, sondern mit dem Herzen.
Die reiche und aufserordentliche Lebenskraft des jungen Polen in seiner jetzigen Schöpfermacht verkörpert sieh am tiefsten in dem Typus des Sehers. Denkers und des Propheten: Jan Kasprowicz.
Stanislaw Przybyszewski, der engste Landsmann von Kasprowicz, hat ihn in seinem Essay über diese mächtige Dichtergestalt den „Sohn der Erde” genannt. Und fürwahr, dieses Kind eines polnischen Bauern wurzelt mit den feinsten Nervenfasern, mit seinen starken, grobknochigen und doch so unendlich feinfühlenden Wurzeln in der Seele seines Volkes, aber über dem geheimsten Ursprung der Volksseele ragt sein Haupt hoch empor, wo, wie Mickiewicz sagt, der Schöpfer und die Natur einander gegenüberstehen. Er bleibt stehen im Angesicht des Weltgeistes, personifi ziert ihn mit dem katholischen Gott, wie er in dem Volksglauben lebt, ringt und kämpft mit ihm den heroischen, prometheischen Todeskampf: warum „die Liebe und die Ruhe zu der vernichtenden Flammenlohe wurde,… und zu der tötenden Sehnsucht und dem steinernen, blinden, schreckerfülltem Graus?…”
Neben den Gröfsten, die für die Menschheit gekämpft und diese Kämpfe geführt haben, bleibt der "Erdensohn" stehen und schreit der urewigen Kraft die ekstatische Hymne des Schmerzes zu, den wilden Gesang der Verzweiflung aller Geschlechter, den Todesgesang eines Herzens, das auf der Märtyrerbank verreckt.
Nicht sofort und auch nicht so schnell ist Kasprowicz auf diese Höhen gelangt, wo vor den Menschenaugen alle ephemerischen und zufälligen Erscheinungen des Daseins verschwinden und nur die gewaltigen Mächte der Sonnen und der ewigen Sterne bleiben. Lang und mühsam war die schwere Arbeit, hinaufzuklettern auf der Jakobsleiter; schwer, lang und mühsam die Arbeit, seinen eigenen Geist zu reinigen, damit er sich von der Schwäche erlösen und mit dem Engel ringen könnte.
Äulserst interessant und charakteristisch ist der Entwicklungsweg der Schöpfungskraft von Kasprowicz. Sie umfaist ein grofses Stück des Geistesleben in Polen während der letzten zwanzig Jahre und zeigt zugleich, dafs ein grofser Schöpfer nur auf dem Wege der inneren Notwendigkeit schreitet, der ihn logisch zu jener höchsten Höhe führt, um das auszudrücken, was in einer Seele am tiefsten und innerlichsten verborgen liegt.
Vor fünfundzwanzig Jahren ist Kasprowicz mit dem ersten Band seiner Dichtungen in die Öffentlichkeit getreten.
Es war die Zeit des Kampfes in der polnischen Literatur, der nicht so sehr künstlerische als vielmehr soziale Zwecke verfolgte.
Es war eine Zeit, die für das polnische Volk schwer und kritisch war, die Zeit, da Fürst Bismarck seine todesfeindliche Politik gegen die Polen inaugurierte und gleichzeitig die Russen den Polen den endgültigen Todesstofs versetzen wollten. In den Herzen der Menschen, die da um die Zukunft besorgt waren, keimten die schwärzesten Ahnungen, entstanden Angst und Schrecken um das Sein des polnischen Volkes.
Damals wandten sich alle heifsen Herzen von den Führern des Volkes, die das Volk in den Abgrund gestürzt hatten und es immer in schweren Stunden verliefsen. Dafür schlugen sie mit aller Hoffnung und allem Glauben dem Volke entgegen, das mit unerschöpflicher Macht sich an der Erde festhielt, die Quelle der Entwicklung der Sprache und die einzige frohe Perspektive für die Zukunft war.
Diese Ideen und diese Ideale hat die junge Generation der älteren gegenübergestellt, den Schriftstellern von grofser künstlerischer Kultur, die erzogen an prachtvollen Vorbildern, aber durchdrungen waren von adliger Salonatmosphäre, und keine Berührung mit dem Volke hatten.
Damals trat Kasprowicz auf. Seine Dichtungen fingen an Anfang der achtziger Jahre in der liberalen Warschauer Presse zu erscheinen.
Mit einem Schlage hat er ein neues und frisches Element in die Literatur gebracht, nicht nur als dichterische Individualität, sondern auch als Typus: Der Bauer schien mit ihm zusammen seinen Einzug in die Literatur zu halten. Das war kein grofs-städtischer Literat mehr mit vertrocknetem Gehirn und überfeinerten Nerven, der seine Ideen aus den Büchern schöpft und das Leben aus der Phantasie, – sondern ein Bauer, ein echter Bauer, schwer und unbeholfen in seinen Bewegungen, trotz des Wissens und der Kultur, die er aus den Hochschulen gewonnen hat, – ein Bauer, der unfähig ist, sich in glatten, subtilen Worten auszudrücken, dessen Phantasie schwerfällig ist und an die Erde gekettet, dessen Intelligenz geradlinig, bar jeglicher Grazie und der Komplikation, die auf jegliche Kultur hinweist, – ein Bauer, der dafür frei ist von der Schwäche und der Nervosität der Salonmenschen, von der Borniertheit der Theoretiker, – ein Bauer, dessen breite Brust den mächtigen Odem der Muttererde atmet, an die er mit jedem Nerv gefesselt ist.
In Wirklichkeit war diese dichterische Organisation komplizierter, als es ursprünglich schien. Sie trug die Elemente aller Ideen in sich, aller Weltenschauer, die das Weltall durchbeben; sie kämpfte mit ihnen, um ihre eigene Rassenindividualität zu befreien. Man spürt in ihm die Tiefe, in der es unaufhörlich kocht und schäumt, sich alles durcheinanderwälzt; er ist nicht der Herr, der alle die siedenden Elemente in ein harmonisches, edles Werk umzu-giefsen weifs; dieser Höhenmensch, stark und finster, fühlt sich nicht wohl in den Fesseln des engen, banalen „Jetzt” und läfst sich weniger auf den Flügeln der dichterischen Intuition tragen, als vielmehr durch die Macht des Gedankens leiten, wo
„hinter dem Schleier des Scheinbaren sich ein grofser Felsengranit verbirgt…”, um dann wieder im Mälstrom des Lebens unterzutauchen, in dem kochenden Wirrwarr des alltäglichen Lebens, das von blutigen Kämpfen überschäumt. Dann reifst er die wild wehende Kriegsfahne an sich und hält sie hoch empor mit dem Kriegsgeschrei: „Wir und Ihr.”
Und es kämpfen in seiner Seele zwei Elemente: rein dichterischer Geist, ein kosmischer Geist, der in metaphysischer Spekulation sich weitet in ex-tatischen Erinnerungen an das polnische Dorf, in elementaren Ausbrüchen des Gefühls, und dann das zweite Element, intellektueller Art, das dem Zeitgeist gehorsam in Rhythmen Tendenzen verkündet, die eines Publizisten würdig sind; nach dem Vorbild von Zola malt er mit breiter Hand Milieubilder, wobei jedoch die Poesie unter tiefen Schichten von Erz verborgen ist.
Ein hervorragendes Werk aus dieser Zeit ist seine Dichtung „Christus”. Das Gefühl der Gottesverehrung, das aus dem Herzen des einfachen Volkes strömt, vereinigt sich hier mit einer heifsen Liebe zu diesem Volk. Und aus dem Gefühl des schreienden Kontrastes zwischen der Christusidee und ihrer Verwirklichung im Leben hat er eine Dichtung geschaffen, die im höchsten Mafse als der Ausdruck des modernen Prometheismus gelten kann.
In wundervollen Terzinen durchläuft er die ganze
Tonskala zwischen dem Geiste Christi und seiner Ernte. Luzifer „das Echo der menschlichen Qual”, antwortet ihm. Nach dem Luzifer aus dem Wahnsinn der Religionskriege, nach dem philosophischen Teufel von Goethe und Byron erscheint jetzt der Luzifer der Volksmeute.
Den idyllischen Prophezeiungen und Versprechungen des Erlösers stellt er die nackte Erdenwirklichkeit gegenüber und, als der Verkünder der frohen Botschaft und des guten Willens am Kreuze stirbt, da gellt aus der Brust Luzifers der letzte Schrei der höchsten Verzweiflung: in der Menschengeschichte und in dem ganzen Leben hat er keinen Gott gefunden: „Nur das Böse lebt… das Böse, das ewig ist.”
Als dieser starke, granitharte schöpferische Organismus zu diesem Ergebnis gelangt ist, verfällt er in sich selbst, kämpft mit sich, wälzt sich ira Schmerz und in der Verzweiflung ohne das Rückgrat eines eigenen Machtbewufstseins, ohne eine sichere Daseinsachse finden zu können. Er glaubte das diesseitige Sein in allen seinen Phänomenen durchschaut zu haben, und obwohl aus dieser dichterischen unbezwingbaren „Wahrheit” der Schmerz weht und ein äusserster Pessimismus, kann der Dichter dieses Sein, nach welchem er strebt, in „Wirklichkeit” nicht finden, eine höhere, metaphysische „Wirklichkeit”, mit der man eins werden und als deren Ausdruck man gelten könnte. In der Erde fufst er nicht mehr, auf den Pfaden der Unendlichkeit kann er noch nicht schreiten…
Es folgten ein paar Jahre in der Schöpfung des Dichters voll von inneren Kämpfen, von geistiger Qual: Die harte Natur, übermächtig in der Liebe wie im Hafs, schreit empor die Gottheit der Kraft aus den Jugendgedichten in einem „Ave dem Tode”. Sein Übermafs von Lebenskraft stürzt hinein in den Abgrund von Nirwana; aus den todestraurigen Visionen und tötlicher Ohnmacht reifst er sich hinauf in eine grenzlose Ekstase des Allwissens.
Alle diese furchtbaren inneren Kämpfe, dieses Hin-und-her-werfen der schaffenden Seele fühlt man am besten in der grandiosen Dichtung: „DieLiebe”.
Die Seele sucht sich hier selbst. Der Dichter steht hier noch auf dem Kreuzwege zwischen der dichterischen Schöpferkraft und der naturalistischen, rationalistischen Philosophie, und anderseits sieht man schon den neuen, kaum geahnten, kaum fühlbaren, unbewufsten Pfad. Auf dem ersten Wege verhüllt er sich hinter der Dichtung, schreibt sinnliche Bilder, grenzenlos brutal, behilft sich mit einer tendenziösen Dialektik. Der andere Pfad weitet sich und weitet die engen Schranken der Wirklichkeitsmalerei. Jetzt will er nicht mehr eine vereinzelte Tatsache darstellen, sondern die kosmische Kraft in ihrer eigensten Urmacht und nicht mehr in den Formen einer realistischen Fabel, sondern allgemein menschlicher Symbole.
Und jetzt haben wir die Liebe der Verzweiflung, die Liebe, die als Sünde gilt, die triumphierende Liebe, die Liebe als Rätsel, die Liebe, die so mächtig und ewig ist wie der Tod, die Liebe als Ausdruck höchster, unmittelbarer Lust und Verderbens und Veräscherung der Seele, die Liebe, die an das geliebte Weib mit unzerreifsbaren Fesseln kettet und gleichzeitig in ein überweltliches Sonnenfeld mit endloser Sehnsucht hinauf-, hinaufreifst.
Die sündliche Liebe kämpft den uralten Kampf mit seinem eigenen Milieu, mit seinem Phari-säismus, mit seiner Hypokrisie, die hinter dem Flittergold ihrer Moral den elendesten Pfuhl ihrer Fäulnis verbirgt.
Und zuletzt Amor Vincens: auf tief weiten Adlersflügeln schwebt er weit über die Grenzen des empirischen Seins.
Inmitten eines gottesherrlichen, heiligen Panoramas des Tatragebirges, dem Sausen der urewigen Bäume lauschend, schreibt der Dichter ein wundervolles Gedicht, in dem das Herz der Menschen und der Natur in gleichen Rhythmen zu einer weltumfassenden Hymne, in einer gottfühlenden und gottesmächtigen Ekstase, die nur Shelley haben konnte: Zur gottesewigen Harmonie.
„Der Busch wilder Roseu u, die nächste Aufserung seiner lyrischen Schöpferkraft, ist noch ein vertiefteres Dokument der innerlichen Seelenvorgänge des Dichters, eines tiefen Falles und tiefer Erschütterungen, todesmüder Ohnmächten und dann wieder himmelhochaufjauchzender Ekstase, voll von Kämpfen und verzweifelten Erlebnissen, voll übermenschlichen Ringens um den innersten, eigensten Inhalt seiner Seele, um die Erlösung seines metaphysischen Seins von dem Rest der Tyrannei des Empirismus und dem von aufsen her ihm aufgeworfenen Intellektualismus.
Weitab steht schon der Dichter von dem Wirrwarr der Jahrmarktstage des Lebens; mit der bitteren Reaktion des so elend hintergangenen Glaubens wirft er Donnerworte der Erbitterung und der Enttäuschung dem Raubtier und dem Zerstörer der Seele, dem Demos, in das Gesicht. Jetzt, da er sich von der Menge fernhält, bekommt er die Distanz der Perspektive und erlangt endlich die Höhen, bleibt hoch über elender Alltagswelt stehen; alle Zufälligkeiten des Lebens verschwinden vor seinen Augen; es verbleiben nur deren reinen, platonischen Ideen, die da in dem Ursein in ihrer ganzen Schönheit das Dieseits erwarten. Vor seinen Augen verschwindet die Erde; es bleiben nur die ewigen Sterne, die von den Höhen der Menschheit leuchten, und vor ihrem Angesicht bleibt er auf dem Todesberge stehen.
Diese Dichtung hat Przybyszewski als das Mächtigste bezeichnet, was die neuzeitliche slawische Poesie hervorgebracht hat. Dieses Urteil kann ich nicht ohne weiteres unterschreiben, aber es unterliegt keinem Zweifel, dafs „Auf dem Todesberge” in der ganzen slawischen Poesie ein Werk ist, das am meisten den allmenschlichen Inhalt der Seele beleuchtet und mit den Flügeln seiner Sehnsucht die Ewigkeit unifafst.
Grofsnüichtig ist der Wurf des Werkes: „Die Seele, die aus dem Paradies vertrieben wurde”, in der Reinheit des Glaubens, auf dem unendlichen Horizont des Geistes, seit tausend Jahrhunderten dem Luzifer übergeben, der da als Symbol jeglicher Illusionsenttäuschung, der Lust und der Traumvisionen erscheint: die Seele des armen Menschen steht auf Golgatha, wo das Opfer vollbracht werden soll. Und jetzt das Angesicht der Welt Auge in Auge gegenüber dieser Tragödie. Rings um Christus, der das Kreuz mit unendlicher Milde und mit Worten der
Verzeihung hinaufschleppt, rast eine Orgie aller Scheufslichkeit, aller ekelhaften menschlichen Leidenschaften und menschlicher Verderbnis. Und dies alles sieht man nackt, wie jene Courtisanen, die sich um den Preis ihres Leibes mit den Markthändlern zanken. Dies alles kämpft miteinander, wie die Geldsucht der Marktschreier, die sich in das stolze Gewand religiöser, volkstümlicher, sozialer Phrasen kleiden. Und alles ist nur ein ungeheuerlicher Pfuhl von Kot, Geilheit, Vertierung; und alles das schlägt mit bestialischer Faust an das Kreuz und speit in das Antlitz des Gekreuzigten.
Das sehen nur die Auserwählten, die hoch über die Menge ragen: der eine ein Ästhetiker, der andere ein Intellektualist. Und beide stolzen und edlen Geister, deren Gehirn jedoch durch die Analyse zerfressen ist, durch den Zweifel, durch die Ohnmacht, durch die Unfähigkeit zu jeglicher Tat, sind doch imstande, Dem zu Hilfe zu eilen, der unter der Bürde des Kreuzes niederfällt, sind imstande, sich der Gröfse Dessen zu unterwerfen, der sich für die ganze Menschheit opfert.
Aber als der Sterbende seine letzten Worte aushaucht, Worte der Verzweiflung und der Enttäuschung, hat Simon aus Kyrene nicht Kraft genug in sich, trotz seines Glaubens weit hinter die Wirklichkeit in die Zukunft hinauszublicken.
Und „die Seele, die aus dem Paradies vertrieben ward”, die Seele, die auf einen Augenblick durch die Vision Christi in ein heiliges Jenseits gerissen wurde, wirft sich jetzt wieder in die Arme Luzifers. Der Lebensabgrund der Lust, des Verlangens, der Alltäglichkeit, der Erdenmenschlichkeit wich erschreckt vor dem Kreuze, vor dem überreinen Opfer, das für die Sünden der Menschheit am Kreuze starb; aber jetzt erwacht die Sünde mit noch gröfserer Macht, einzig in ewiger Umarmung mit dem geilen Geliebten zu neuen Verbrechen, zu neuer Sehnsucht, auf ein neues Golgatha sinnend, um nur zu vergessen, um zu rasen, um zu leben…
„Denn das Böse ist ewig, denn das Böse… hat der Gott selbst geschaffen,” – das haben wir schon in den Jugendgedichten von Kasprowicz gelesen.
„Auf demTodesberge” bleibt für alle Zeiten in dem Pantheon der Weltliteratur, als eines der gröfsten Werke der allmenschlichen Seele. In diesem Werke ist jener furchtbare Posaunenton, der die Seele durchbebt, um sie mit einer ewigen Melodie der Sehnsucht zu durchschauern. In diesem Werke ist ungeheure Farbenkraft, die zuweilen blind macht. Wie er die menschlichen Leidenschaften mit seiner eigenen schöpferischen Kraft auf das Papier wirft, ist ein solcher Schmerz, ist ein so furchtbares Leiden, eine solche unfafsbare Sehnsucht und ein solcher Leidensrausch, der sich in die lustheifse Umarmung des Satan wirft, dafs man mit tiefer Verehrung und gleichzeitig mit Angst und Schauer vor diesem Werke stehen bleibt.
Und der Schmerz ist ewig, und das Leid ist ewig und die Qual ohne Ende, und die ganze Menschheit in dem verzauberten Kreise ewiger Schuld und eines ewigen Golgatha… Ewige Schuld und ohne Ende – Seitdem sieht man Kasprowicz als den Dichter der tiefsten, innerlichsten, ja, sogar metaphysischen Menschenqual an.
Er hat sein tiefinnerlichstes Sein enthüllt, den Inhalt seiner Seele, mit dem gleichzeitig auch die Form zusammengewachsen ist. Seine Dichtungen sind eine übermächtige Stimme, ein übermächtiger Schrei der gröfsten Qual, die ein Mensch erduldet, ein Mensch, der noch an seinem Kinderglauben, an dem biblischen Gott festhält und sich gegen ihn empört und wehrt.
Lange Jahre hindurch war Kasprowicz der Sklave der Erde; jetzt ist er der einzige wirkliche Sohn dieser Erde. Jetzt ist er ihr Herrscher und ihr Anwalt. Noch in seiner letzten Dichtung war er verloren in metaphysischen Spekulationen; aber plötzlich hat er seine Muttererde umfangen, mit der riesigen Antäuskraft sich wieder in sie hineingewurzelt, wieder alle ihre Säfte in sich hineingezogen, under und die Erde wurden Eins.
Jetzt hat er sich wieder gefunden in seiner ganzen Macht.
Und in Wahrheit ist dieser schöpferische Organismus bis in die innerste Tiefe ursprünglich und erdgeboren, urslawisch, der auf die Civilisation mit den Augen eines Bauernkindes schaut, in dem ein Halbprophet steckt, und in Wahrheit ist seine ganze Sehnsucht, die auf das Diesseits gerichtet ist, das uralte Lechzen nach dem Guten, nach der Gerechtigkeit, nach der Reinheit. Das ist die Inkarnation des polnischen Bauern mit seinem heifsen Glauben an Gott, der aber nicht frei ist von dem Glauben an das Böse, mit seinem tragischen Fatalismus, der von Zeit zu Zeit in wilde Gotteslästerungen ausbricht, mit ohnmächtiger, himmelstürmender Verzweiflung, mit dem ganzen Grausen der Sünde gegenüber, die um so furchtbarer ist, weil ihr niemand widerstehen kann, die Sünde mit ihrer geradlinigen harten Ethik, zu der die qualvolle Milde des Erlösers weniger Zugang hat als das Zehngebot des grausamen Jehova, und die den Kanon des Katholizismus mit den Füfsen tritt..
Und gerade diese Seele, so rein und so geradlinig und doch so kompliziert und königlich, wird in den Sumpf des Ekels, des Elends all der Höllen geworfen, die man das moderne Leben nennt, in einen wilden Orkan, in dem abgerissene Stücke zersprungener Glaubensformen der ganzen Welt kreisen, Knäuel von Tausenden vergifteter Herzen, Orgien von entfesselter Wollust, Verbrechen, Irrsinn und Qualen…
Man glaubt, dafs das Ende der Welt kommt, dafs über der Erde die furchtbare Faust des letzten Gerichtes und der Strafe im nächsten Augenblick das All niederchmettern kann, dafs das Erdall bersten, die Hölle sich öffnen und die Himmelshöhe auf die Erde niederstürzen wird.
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Weh über uns, weh! Der spasmatische Schrei einer übermenschlichen Qual durchdringt diese ganze Natur, und wie seit tausend Jahren die gesamte christliche Welt in einer ähnlichen Stimmung, wie heute das ganze polnische Volk unter der Bürde einer tödlichen Angst, so wirft sie aus dem Bangen und der Todesangst des Herzens Hymnen „der sinkenden Welt”: „Dies irae, dies illa, Allerheiligster, Allmächtigster Du.”
„Was für ein wahnsinniger Totentanz! Was für ein Chaos von Qualen! Kyrie eleison!
Die Auferstandenen stürzen sich aufeinander los, die Welt steht in der Feuersbrunst des Krieges, die unzählbare Menge watet in blutgefüllten Strömen! Du gottverdammter Adam, kehre um auf diesem furchtbaren Weg!
Häng dich auf an diesem Kreuz, das zum Himmel ragt, und schau nicht hin, wo in lächelnder Ruh' die goldhaarige
Heva, auf der höllischen Schwelle sitzend, sich an die geile Schlange schmiegt! Weh über mich, weh!"
Fürwahr, ein Bild, ebenbürtig eines Michelangelo! Dieses Bild des letzten Gerichtes macht das Blut in den Adern erstarren, – ebenso wie ein mehr lyrisches Bild der Seele, der totgequälten, von sengender Hitze, von Durst und Hunger und von den gräfslichen Gespenstern der Qual des täglichen Lebens totgequälten Seele:
„Und wir, das gottverdammte Geschlecht, nehmen die Kreuze in unsere Hände und die in diesem blutigen Todesgange vergilbten Fahnen, mit Todesgebein gezeichnete Fahnen, gehen verreckend vor Hunger auf dieser öden Strecke, voll von Todesgeruch, der mühevollen, der todesschwangeren Zeit entgegen, in welcher die Jahrhunderte sterben und gleichzeitig neue erstehen, zu einer noch gröfseren Not und Qual – Wir gehen mit unseren armen, von Sorge gequälten
Häuptern
Kasprowicz. II
wie ein ausgerodeter Wald – Wir gehen, und das Ziel ist so weit! Und die unruhige Angst… peitscht uns vorwärts, und der Atem stockt in unserer Brust..,u
Ein Orkan entfesselter Elemente,. das Ringen wahnsinniger Titanen mit unbekannten Mächten, das ist das Spiegelbild der Welt in der Seele von Kasprowicz. Ein riesengrofses Spiegelbild – riesen-grofs durch die Liebe für jeglichen SGhmerz, für alle Qual, für das menschliche Herz, für alles Schuldige und Unschuldige: eine Liebe, die so mächtig ist, dafs sie das Heulen und Brausen aller Abgrundstiefen überschreit, den Himmel erstürmt mit dem Purpur des lebendigen Blutes, das aus der Erde hinaufschiefst und vor dem Schöpfer erstarrt mit dem Schrei der Verzweiflung und der Blasphemie.
Der Endakkord der Hymne „Allerheiligster, Allmächtigster Du,u das ist einer der fürchterlichsten Schreie des menschlichen Schmerzes, welche die ganze Weltliteratur kennt, ein irrgewordener, wahnsinniger Schmerz, der zuletzt noch in verreckendem Spasma sich wälzt, ein Schmerz berstender Brust, die Erschöpfung der ans Kreuz genagelten Seele.
In unserer ganzen Literatur hat keiner so mit dem Weltgeist von Angesicht zu Angesicht gesprochen. Seit den Zeiten Beethovens hat keiner aus seinem Herzen sich so qualvolle Töne gerissen mit einer solch elementaren Kraft; man glaubt einen vulkanischen Ausbruch zu sehen und das unterirdische Dröhnen und Donnern zu hören. Doch der jetzige Mensch, der am tiefsten auf diesem Erdental das elende, armselige Leben empfindet: Wie vergiftet ist seine Seele, wie zerrissen, wie endlos. traurig!
Für ihn betet keine „Ewonia”, wie in dem Leben von Mickiewicz. Die weibliche Reinheit windet nicht in ihren Träumen Kränze von Rosen, Lilien und Narzissen, die dann die allerheiligste Stirn umwinden und für den Leidenden und den Unglücklichen die Erlösung erbitten; die Vision von Kasprowicz, das ist die goldhaarige Heva, die Urmutter der Sünde, die da
„mit den Fingern kämmt das Gold ihrer Haarflechten, und mit der Flut des goldigen Haars bedeckt ihre Nacktheit, und kost und kost mit roten Lippen den blauen Mund des Satans, der die sterbende Welt mit seinem Schatten umhüllt hat. In Schlangenwindungen umkreist er die Lenden des lustschreienden Schmerzes, und ihr unzüchtiger Leib windet sich im Wollustkrampf und atmet mit unersättlichem Verlangen!”
Seine Heva – das ist Salome,
„Salome, der weifsblättrige Blütenkelch der Herodias, gepflückt von der Haud der Sünde von dem Baum der
Erkenntnis,"
die in dem geschlechtlichen Verlangen, in der ahnenden Sehnsucht, in dem wahnsinnigen Rausch unbekannter Lust den Gesang der Elemente singt: den Gesang unerreichbarer Wollust und endlichen Untergangs: Heva:
„ewig verzehrt von dem nimmersatten, flammenden Verlangen der Schuld und der Sünde…”
Diese ganze Welt sieht der Dichter in seiner Apokalypsis, er, der Bauer, dem die äufsere Kultur durchaus die Augen nicht blendet, der durch sie nicht verdorben ist, um sich an der Seltenheit ihrer Schönheit und an ihrem Kot zu ergötzen, er, der Bauer, der nach einer langen und stumpfen Resignation sich hochreckt, die Fesseln zerreifst und einen gräfslichen Schrei in den Himmel gellt, um dann in die Kniee zu sinken und leise in sich hineinzu-flüstern: über uns, der Menschenbrut, herrscht Ananke, Moira, Heimarmene… Er, der Bauer und zugleich das ganze Volk, eine Million von Herzen und Seelen, die ganze Menschheit, Er, der alle ihre Qual und die ganze Hoffnungslosigkeit in sich trägt, stark genug, um die ungeheure Last auf seinen Armen zu tragen, mächtig genug, um aussprechen zu können, wie er unter dieser Last keucht, er, der Bauer und zugleich ein Allmensch, der vor dem Weltgeist stehen bleibt und ihm die Worte als seinesgleichen zuwirft:
„Seit dem Anfang war Er, und wir waren zusammen. Gebenedeit sei sein heiliger Name!u
Und endlich in die Kniee sinkend unter der furchtbaren Schwere einer ganzen Welt, unterwirft er sich der Macht des ewigen Geistes und wird mit ihm Eins.
Und jetzt folgt die Beichte, welche ihm die Stille und das verlöschende Purpurrot des Himmels und das heilige Vertiefen in sich selbst während eines sommerlichen Sonnenuntergangs mit einem: Abendgesang aus dem Herzfen reifsen, eine Beichte für die ganze Menschheit, eine furchtbare Beichte in ihrem Rhythmus, "in der Aufeinanderhäufung der ungeheuerlichsten Sünden aus seinem eigenen Herzen und seiner Seele in dem Sich-eins-fühlen der individuellen Seele mit der Verantwortlichkeit für Millionen, – dies alles erinnert an die gräfsliche Beichte, welche das Alte Testament seinen Gläubigen inmitten der tödlichen Angst des letzten Gerichtes vorschreibt: die Beichte der Menschheit unserer Zeit, deren Verderbnis und Fäulnis das Mafs der Sünden von Ninive weit überholt hat. Die Beichte dessen,
„der aus der Sünde geboren ward und durch die Sünde verfolgt wurde – bis an das Ende – a, der aber die Sünde überwunden hat und jetzt vor den Menschen steht, ihr armer Bruder, gleichzeitig über allen herrschend, und dann wieder schwach in seiner Menschennatur, aber durch seine ehrliche Beichte, durch die Bufse, durch den grenzenlosen Schmerz zu einem Riesen geworden, zu einer jener Gestalten, die einstens als Gottespropheten das Volk zermalmten und es wieder hoch emporhoben, und wieder, wie jene Verkündiger des Gotteswillens, schreit er in den Himmel hinauf:
„In dieser Stunde Deines furchtbaren Zornes mag die Welt den Staub von Deinen Füfsen lecken, aber mag sie nicht untergehen!”
Gräfslich ist diese Wunde der Menschheit, die ewig und ewig sich qualvoll öffnet immer von neuem, und gräfslich für den Dichter, der das Stigma der menschlichen Qual auf seiner Stirn trägt: es gibt kein Glück mehr! Ab und zu kommt die Stunde der Ruhe und der Stille über ihn, und diese Stunde beruhigt sein Herz mit den Erinnerungen der Kindheit, der engelsüfsen Kindheit, kommt über ihn mit dem Atem der Dörfer, der Torfmoore, der Wiesen, wo die Wiege – der sündlosen Reinheit und der schuldlosen Unschuld gestanden hat, – mit dem Atem der Muttererde. O diese wundersüfse, in Schlaf wiegende Macht, wenn er sich ihr ergibt, und ihn die Welle der Süfse und Güte und das selige Lächeln der Engelschöre überschwemmt.
Inmitten der entfesselten Orgie des gräfslichsten Schmerzes und der Visionen weckt sie allein in seiner Seele weiche und so unendlich süfse Gefühle wie eine heilige, überreine und unschuldige Kindheit, die das schwarze Unheil des Lebens mit der silbernen Melodie der Hirtenflöte durchwebt:
„O sing mir, sing, o meine Hirtenflöte, o sing mir, sing, o sing mir, sing!”
Und alsdann:
„Die Seele horcht und horcht…
Und ihr Tag verlischt, und sie fliefst den Weg der Sehnsucht in der Wellenpracht des Mondes, –
fliefst im Taustrom, der seine glänzende Flut über die
Wiese breitet und über die Gipfel der schlafmüden Bäume und über die Rücken und Sättel der weifsen Berge, hinzu jenen vergessenen Tagen, da die Liebe und Ruhe noch nicht zu der vernichtenden Flammenlohe wurden, noch nicht der steinerne, blinde, schreckerfüllte Graus.
Tief und breit weitet sich vor ihr die Ferne, die, überfüllt von ewiger Nacht, in ihre Tiefen alles hineinsaugt…
In den stillen, weichen, wogenden Wellen wird die Seele eins mit der ewigen Melodie des Meeres der Unendlichkeit.
Mit ihr ist der Dichter eins geworden, eins ist der Menschensohn mit dem Kosmos geworden wie niemand in der polnischen Literatur. Mit seinen mächtigen Flügeln erreicht er die Uberwelt, aber nicht auf einen Augenblick veriäfst er ipit seinem Fufs die Erde im unaufhörlichen Kampf um den Schatz, der nie zu finden ist, und nie zu finden ist das Geheimnis, das man selbst für sein Seelenheil nicht erkaufen könnte: Nicht um das Glück handelt es sich, nicht um die Gröfse und den Ruhm, sondern um das Gute… Aus dem Schmerz ist das Ideal geboren, und wie der Schmerz, ist das Ideal unüberwindbar. Die ganze Menschheit ist wie jene arme Maria aus Ägypten. Sie hat von einer frohen Nachricht gehört, einer „gaya scienza”, sie ahnt die übernatürliche Güte und das übermenschliche Recht und geht zu Ihm hin. Und sie geht und geht an der Hand einer unfafsbaren Sehnsucht, im Fall und in der Sünde, die so schuldlos war; sie geht durch die Qual, den Sumpf und den Sündenpfuhl in der mystischen Ekstase, die sich so oft in eine körperliche Vision der Wollust verwandelt, in der Nostalgie des Ideals, das nur zu oft von Schreien der Blasphemie unterbrochen wird; sie geht und geht gen Sonnenaufgang, aber auf ihrem Wege – der Tod. Und so ist der Kreis der Sünde, der Sehnsucht und des Schmerzes ewig und unendlich:
„Überall ist das Elend, in der Liebe das Elend,
Elend in dem Leid," schreit all das, was unserem Gehirn bewufst ist: der Satan!
( Aber über ihm steht die Vision des heiligen Franziskus von Assisi, der die Bürde der Qualen und des menschlichen Elends auf seine Arme nimmt, um „unzerreifsbaren Ehering auf seinen Finger zu stecken mit der erlösenden Liebe”, und über diesem allem thront die Seele des Dichters, „um mit der Sehnsucht der ganzen Welt die allerheiligste Hymne zu singen:
Salve, Regina!" Eine grandiose Hymne der Reinheit und der allerlösenden Liebe; und über dem allem steht der individuelle Wille, in sich erstarkt und wundertätig, ein Wille, der zu den von Kälte, von Schmerz und vom Bösen Starrenden aufschreit: „Und du?
Hast duje eine Seele so geliebt, dafs du vergessen könntest, dafs es eine Grenze gibt zwischen dem Guten und dem
Bösen?
Ringe mit dir!"
Die Seele, die aus dem Paradies vertrieben wurde, hat von neuem den Kampf mit Luzifer aufgenommen.
Wir wachen auf, geweckt von der Wünschelrute einer Poesie, die nur in den Symphonien von Beethoven zu finden ist. Die Ähnlichkeit sticht-um so mehr in die Augen, als die Poesie von Kasprowicz niemals in der polnischen Dichtung einen so mächtigen Ausdruck gefunden hat.
Aus einem gigantischen Vulkan giefst sich eine wilde Lava – ergiefst sich im Strome ohne Ende, ohne Ende, wälzt sich in unfafsbaren Sprüngen; jetzt fliefst sie durch stille Felder und Dörfer hindurch, dann wieder strömt sie empor und birgt sich in dem Schofs der höchsten Gebirge, um niemals zu erstarren.
Dieses ewigflammende Lavafeuer fliefst und fliefst in heisen Feuerströmen mit dem Rhythmus einer schreckerfüllten, dann wieder ruhevollen und harmonischen Musik.
Für eine solche Poesie kann man sich keine bessere Form des Rhythmus denken als gerade den, der sich in den gewaltigen Hymnen von Kasprowicz offenbart. In der ganzen polnischen Poesie ist diese Form durchaus originell, „vers libre”, aber durch ihn zu einer ungeahnten Kraft und Macht und Virtuosität gelangt. Ohne die künstlerischen Taktmafse, die man als Reim bezeichnet, offenbart sie sich „vers libre”, als Geysir kochender Elemente und nur mit einem Refrain: dem Schlagen und dem Zittern des schmerzüberfüllten Herzens. Einzig, allein in ihrer Artist diese rhythmische Prosa. Einmal in Nebel-
Schwaden zerrissen in deni Gefühlsausbruch, dann wieder wogend auf stürmischen Wellen der wütendsten Leidenschaft, schnell, immer schneller, bis sie den Atem verliert, dann wieder in das Purpurrot der Majestät gekleidet in breiter, voller biblischer Prophetenmacht eines Ezechiel.
Nur selten, wenn die Seele sich mit ihrer Erinnerung zu dem Schicksal der Kindheit hinwendet, zu dem Geburtsort, dann hört man die Hirtenflöte, hört man Gesänge, die rein, edel, echt und einfach in dem Rhythmus und in dem Reim sind…
Selten gereimt ist das Bild dieser elementaren Seele, wie sie vor unseren Augen in der Maria aus Ägypten erscheint.
Und inmitten der Wellen dieser Musik wälzt sich ein einziges kurzes Motiv, zerfällt in Halb – und Vierteltöne, verbindet sich mit anderen Bildern immer in einer anderen Intensität, kommt zurück mit immer mächtigerer Kraft – und gibt dem Ganzen das Kolorit, den Grundgedanken, die suggestive, un-fafsbare Macht.
Das, was dieser Poesie den tiefinnerlichsten seelischen Stempel gibt, das ist der durchaus und einzig-allein in seiner Art bestehende polnische Volkscharakter.
Kasprowicz umfafst die ganze Menschheit und gleichzeitig die metaphysische Welt, aber er fühlt mit dem Herzen und spricht immer mit dem Mund des polnischen Landvolkes.
Die Gedanken des Dichters umfassen die Allwelt, aber das Fühlen, das Bild und die Sprache der Muttererde – dies alles ist das Eigentum des erd geborenen polnischen Bauern. Und sein heiliges Lied dröhnt und schluchzt und fleht und spricht mit Donnerworten die gewaltige Hymne: „Allerheiligster, Allmächtiger Du..” Diese Hymne ist eine einzige, unerhört wundervolle Schar von Visionen des polnischen Dorfes und des Herzens seines Volkes. Wir sehen dies
„dort, auf dem breiten Feldwege, wo die rauhe Klettenhecke wuchert, wo in silbernem Glanz der Huflattich seine Blätter badet, wo der sammetne Wermut seine weichen Quasten federt!”
Wir hören das in dem Ächzen des Schmerzes:
„es windet sich durch die öden Felder mit jenem Lied, dafs die Glocken stöhnen – Auf dem Stoppelfeld fegt es vor sich hin die vergessenen Ähren, säuselt zwischen den Hecken schwarzer Brombeertrauben und kämmt die Blätter der weinenden Trauerweiden und braust in den Gipfeln der roten Fichtenbäume…”
Wir fühlen es, Antlitz gegen Antlitz, wie mit dem Schauer
„das blinde, auf Kreuzwegen kauernde Unheil lacht sich tot im wilden Gelächter und Hohn…”
Wir fühlen es in jedem dieser furchtbaren Schreie und Fluchgesänge, die mit einer übermächtigen Stimme wie eine Schmerzenskaskade, die aus der Brust von Millionen und Millionen Menschen sich über das All ergiefsen.
Bewundernswert ist die künstlerische Macht des Dichters, gleich stark, wenn er in einem gre gorianischen Lied den Schrei des „Dies Irae” der Orgeln hinaufkeucht oderwie in seinem „Abendlied”, gleich stark und mächtig, wo er mit einem ganz kleinen – kleinen Strich die endlose Untiefe des Elends und des Schmerzes aus der Hirtenflöte, das Accompagnement des einfachsten und endlos und tödlich schmerzlichen Liedes hervorbringt:
„Still und langsam watet der Wagen, auf ihm in gelbem Schrein auf Jahrhunderte erloschene Augen, wie Lichter in der Wüste.
Ist es dein Vater? vielleicht deine Mutter?
vielleicht dein allerliebstes Kind?
Wo ist die Freude? wo ist die Ruhe auf dem stürmischen Weltensee?
Ein paar Gräber, ein paar Kreuze zwischen der sandigen Felsenflur, –
immer näher, immer näher nähert sich ihnen der Wagen…"
Und jetzt die Synthese der ganzen, volkstümlichen polnischen Dichtung, die weit über das Mafs jeglicher Volksdichtung hinaufragt. Jetzt übersehe ich mit den Fenstern meiner Seele, wie sich Leipnitz ausdrücken würde, die Hymnen von Kasprowicz. Wie in einer vorweltlichen, mystischen Messe beginnt der Dichter sein Lied ganz leise und ruhig, schlägt auf seiner Harfe ein paar Grundakkorde, weitet sie aus zur riesengrofsen Macht, jedes seiner Worte wird unter seinem Hammer lohheifs, bis er, um ein Beispiel zu nehmen, in: „ Allerheiligster, Allmächtiger Du..”eine wahre blutheifse, biszu der
Hitze giefsenden Stahls erwärmte Flut von Gefühlen empfindet, eine ganze Tonleiter der mächtigsten Schauer durchläuft, von der gottesseligen Psalmodie biszu der Verzweiflung, die sich die Haare von dem Kopfe reifst, von dem Gebet des auf dem Kreuz liegenden Menschen biszu dem Heulen der scheufslichsten Blasphemie, das wieder in Schluchzen zerfliefst, sich mit dem Keuchen der Brust auf die Erde wirft, ihren Schmerz, den allmenschlichen Schmerz in den Himmel hinaufheult…
Und so steht dieser grofse Dichter und Seher wie eine gigantische Eiche inmitten des herrlichen Waldes der heutigen polnischen Dichtung.
Den Gröfsten ist er ebenbürtig, über die Kleinheit und die Schwachheit der Zeit ragt er hoch empor; er, in jedem Nerv ein Sohn der Erde, er, der mit seinem Fühlen die ganze Menschheit umfafst, mit seinem Trachten nach den höchsten Sternen greift, er, grofsgewachsen aus dem ewigen Schmerz, erscheint vor unseren Augen als ein längst vergessener und wiedergeborener Typus der Propheten, die das Herz und das Gewissen der Menschheit sind und mit dem Weltgeist um ihr unseliges Lebensdasein und ihr unseliges Schicksal einen tödlichen Kampf führen.
Krakau.
Wilhelm Feldman.
Vorwort des Ubersetzers.
Vor vielen Jahren hat Beaudelaire davon geträumt, die Dichtung Edgar Poes metrisch ins Französische übertragen zu können, under wagte es nicht. Wenn ich mich an eine weit schwierigere Aufgabe herangewagt habe, so nur zum Ruhm und zur Ehre der wiedergeborenen polnischen Kunst, die in Kasprowicz ihren höchsten Triumph feiert. Es war unmöglich, das Wort und den Klang der polnischen Machtsprache des Kasprowiczschen Wortes zu verdeutschen. Dieser unmöglichen Schwierigkeit bewufst, habe ich mich darauf beschränkt, den Rhythmus wiederzugeben und, wo es anging, die intimste Intention des Dichters möglichst getreu durch die fremde, – und besonders der slawischen Sprache fremde – Sprache zu ersetzen.
Es gibt in diesen machtvollen Dichtungen, die durchaus nicht übersetzbar sind, etwas, das in der ganzen zeitgenössischen europäischen Literatur nicht zu finden ist. Ich selbst halte meine Arbeit für unzulänglich; aber ich hoffe, dafs sich einstein grofser deutscher Dichter findet, welcher meine Übersetzung einer Umarbeitung für wert halten wird.) Über Kasprowicz selbst habe ich nicht geschrieben, weil ich in das übersetzte Werk zu sehr verliebt bin, als dafs ich objektiv urteilen könnte.
Daher habe ich für die Einleitung den besten Kenner der polnischen Literatur, Herrn Wilhelm Feldman, gewonnen. Für eine sehr sorgfältige Korrektur bin ich Fräulein Jahn verbunden und dankbar.
) In erster Linie denke ich an Richard Dehmet, dessen Übersetzung des polnischen Dichters Ujejski nicht nur ebenbürtig, sondern auch mustergültig ist.
Der Übersetzer
Auf dem Todesberg
Kasprowicz.
Erste Szene.
Golgatha, Mondscheinnacht, dann Dämmerungsschein, der lichte
Tag und wieder Nacht.
Die Seele, die aus dem Paradies verbannt ist.
Die ganze Welt dämmert –
Die ganze Welt schläft…
Endlos grofse Schatten kauern auf der Erde, und über ihr, wie erstarrt, ruht der Glanz des Mondes, wie erstorben…
Die Unendlichkeit des ganzen Himmelreiches ruht schwer auf dem träumenden, schimmernden Erdenall. O, wie mir das Herz bangt!
Bangt, und sich sehnt, – o wie ist es so einsam und traurig!
Lucifer! Lucifer!
du Herzgeliebter mein!
Mit dir habe ich ewigen Bund geschlossen – Willst du mich vorlassen? Auf dieses Grabeslinnen Meines Traumgedichts, giefs lindernden Tau der Frische, die Quelle heifsen Atems!
Du, mein einziger, du Heifsgeliebter, Auserwählter du!
Warum beeilst du dich nicht, mich zu umfangen,
Mich, deine Auserwählte und deine Seele?
Still… das sind nicht deine Schritte…
Das sind Schritte von Menschen, die den steinernen
Berg erklimmen… Wer von den Sterblichen wagt sich hinaufzuschleppen? Auf dieses Grab des Lebens? Wer wagt es, in dieser dumpfen Stille sein Haar um sein Haupt wallen zu lassen. Wer wagt es, die endlose Stille des Totenberges mit seinem Atem zu entweihen? Und durch das Rauschen der Mantelfalten auf diesem Berge Unruhe und Wirrnis zu wecken, die ich niemals hier an diesem Ort gehört habe? Mir bangt vor den Menschen, denn so oft einer von denen, die dem Tode verfallen sind, den Weg mir kreuzt, verflucht er die Stunde, da die erste Sünde begangen ward im verlorenen Paradies.
Zweite Szene.
(Den Berg hinauf gehen mühsam Simon aus Kyrene und Alethej.)
Simon aus Kyrene,
Endlich sind wir hinaufgelangt – Hier wird das Kreuz stehen.
Alethej.
Mein Herz will nicht glauben, dafs die Menschheit sich mit dem Blut des Unschuldigen besudeln wird, obwohl das schändliche Urteil unterschrieben ist.
Simon aus Kyrene.
O mein Freund, wenn noch ein Fünkchen Glaube in dir glimmt,
Obwohl duan allem zweifelst, mufst du doch glauben, dafs ein Fatum es gibt, dem dein Jupiter selbst unterworfen.
Für mich armen Juden sind andere Gesetze geschrieben.
Doch sage ich dir, dafs sein Leben nicht hängt mehr am Härchen der Hoffnung.
Und morgen erschaun unsere Augen wenn sie vor dem Sonnenrot nicht aus Schmerz verloschen, wie die Menge ihn auf diesem Todesgange begleitet –
UndEr in zerrissenen Lumpen, undEr wie zum Hohn in Scharlachmantel gehüllt:
So mufs es geschehen… Die Ursache dieses Schandtodes liegt nicht in dem furchtbaren Schofs unserer Tage… Sie war angekündigt bei dem Begräbnis des menschlichen Glückes, damals schon vor Jahrtausenden im Paradies, da die göttliche Nacktheit zum geilen Körper wurde.
Als sie, durch die Schlange verführt, die Frucht des
Wissens pflückte. Die Nacktheit wurde zum Fleisch, lockend durch die
Schönheit der Marmorgestalten, lockend durch die Frische der Farben und den Duft, der unsere Sinne verwirrt, die majestätisch beherrschet die Sünde…
Die Stimme der Seele.
O, Lucifer!
Alethej.
Hast dues gehört? Etwas ruft hier.