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Befehl aus dem Dunkel - ebook
Befehl aus dem Dunkel - ebook
Professor Allgermissen löst das Problem der Gedankenübertragung. Forscher sind mit Hilfe von bestimmten Wellen in der Lage Gedanken zu lesen und zu beeinflussen. Politisch verfeindete Systeme machen sich die moderne Technik zu Nutze, um ihre Gegner auszuspionieren und gelangen somit an die unbeschränkte – im geheimen geführte – Macht. Professor wird jedoch wahnsinnig und stirbt daran. Einen Teil seiner Erfindung gelangt in die Hände des verbrecherischen Abtes Turi Chan, der mit dieser Macht einen Krieg der gelben Rasse gegen die Weißen entfesselt, der andere Teil in den Besitz des deutschen Erfinders Georg Astenryk. Sie werden zu heimlichen Herrschern über ihre Mitmenschen, sie bekämpfen einander mit allen Mitteln. Ein Kampf um die Weltherrschaft und das eigene Leben beginnt.
Kategoria: | Classic Literature |
Język: | Inny |
Zabezpieczenie: |
Watermark
|
ISBN: | 978-83-8136-571-0 |
Rozmiar pliku: | 2,9 MB |
FRAGMENT KSIĄŻKI
›Sämtliche politischen Gefangenen sind sofort in Freiheit zu setzen. General Iwanow.‹
Wäre der Blitz in das Gouvernementsgebäude von Irkutsk geschlagen, Verwirrung und Aufregung hätten nicht größer sein können. Wie ein Lauffeuer ging die Kunde von diesem unbegreiflichen Erlaß des Oberbefehlshabers durch den Riesenbau.
Alle politischen Gefangenen freigelassen? Ja sogar die bereits zum Tode Verurteilten?! Was war geschehen? War der General wahnsinnig geworden? War eine neue Revolution ausgebrochen?
Wenige Minuten später war das Zimmer des Generals angefüllt von einem Schwarm höherer Beamter und Offiziere, die ihn mit Fragen bestürmten, auf ihn einsprachen. Doch immer nur die eine Antwort aus Iwanows Munde: ›Die Gefangenen sind unschuldig. Außerdem liegt ihre Entlassung im Staatsinteresse.‹
Waren es wirklich die Worte des Generals oder war es etwas anderes—eine Stimme nach der anderen verstummte. Die erregten Gesichter glätteten sich mehr und mehr... dann alle in nachdenklichem Schweigen, und dann... nickten die einen zustimmend, die anderen sprachen laut heraus, es könne gar keinem Zweifel unterliegen, daß das Staatsinteresse die Freilassung der Gefangenen erfordere... sie seien völlig unschuldig.
War dieser plötzliche Stimmungswechsel der Versammelten schon recht sonderbar, so war auch ihr weiteres Verhalten überaus merkwürdig. Anstatt nun nach Erledigung der Angelegenheit das Zimmer zu verlassen, verblieben sie noch eine volle Stunde bei Iwanow, ohne außer ein paar gleichgültigen Redensarten über die Gefangenen weitere Worte zu wechseln.
Als aber gegen Mittag der General und die anderen das Zimmer verlassen hatten, dauerte es nur wenige Minuten, da gellten nach einer kurzen Besprechung Iwanows mit den anderen Herren bei allen Behörden die Telephonklingeln: ›Befehl des Generals, die vor einer Stunde entlassenen politischen Gefangenen sofort wieder zu verhaften und in das Gefängnis einzuliefern.‹ Bis auf eine der Gefangenen, ein junges Mädchen namens Lydia Allgermissen, wurden die übrigen alsbald wieder festgenommen.
Am Nachmittag desselben Tages berief Iwanow sämtliche Herren, die am Mittag bei ihm gewesen waren, zu einer Besprechung zu sich. Noch ehe man dazu kam, sich über das Unbegreifliche, Unfaßbare, das sich vor ein paar Stunden in diesem Raum zugetragen hatte, auszusprechen, sprangen alle wie auf ein gegebenes Kommando auf und bewegten sich in lebhaften Tanzschritten durch den Raum. Gleichzeitig erschien vor dem Fenster, das nach dem Garten zu ging, ein alter, einfach gekleideter Mann, der sich über das Bild im Zimmer aufs höchste belustigte. Während seine Hände unaufhörlich den Takt zu dem Tanz im Gouverneurszimmer schlugen, sprudelte sein Mund von heftigen Verwünschungen und boshaftem Gekicher über.
Plötzlich öffnete sich die Tür zu dem Zimmer und ein junger Offizier in Meldeuniform, den Stahlhelm auf dem Kopf, trat herein. Wie angewurzelt blieb er stehen und starrte wie betäubt auf die sonderbare Szene. Dann suchten seine Augen die des Generals, und was er darin las, erfüllte ihn mit schreckhaftem Entsetzen. Angst, Wut, tiefste Beschämung sprachen nur zu deutlich daraus.
Unfähig, den Mund zu einer Frage zu öffnen, einen Entschluß zu fassen, stand der Offizier. Da fiel sein Blick auf das Fenster, hinter dem der Alte mit kreischenden Freudenrufen die Szene begleitete. Blitzartig kam dem Offizier der Gedanke, daß der dort draußen vielleicht durch Hypnose oder suggestiven Zwang den General und die anderen zu diesen jeder Vernunft und Sitte hohnsprechenden Tanzbewegungen veranlasse. Mit einem Sprung war er am Fenster und schoß durch die Scheibe hindurch den Alten in den Kopf, daß der sofort tot umsank.
Doch seine schnelle Vermutung bestätigte sich nicht. Die Versammelten tanzten unentwegt weiter, obwohl einige der älteren Herren sich nur noch mit Mühe auf den Füßen hielten. Kaum noch Herr seiner Sinne, wollte der Offizier aus dem Zimmer eilen und Hilfe holen, da war der Tanz plötzlich zu Ende. Verwirrt, atemlos, erschöpft taumelten die sonderbaren Tänzer zu den nächstbesten Sitzgelegenheiten. Iwanow gab...«
* *
*
Dies stand gedruckt in der neuen Ausgabe der »Daily Mail«, die ein schlafender Passagier im D-Zug Aachen-Paris lose in der Hand hielt. Sein Gegenüber hatte weit vorgebeugt den Text bis hierhin mit größtem Interesse lesen können. Wie ging die merkwürdige Geschichte weiter? Wer hatte das geschrieben?
Fiebernd vor Neugierde und Ungeduld hätte Georg Astenryk dem Schlafenden am liebsten die Zeitung fortgenommen. Ärgerlich warf er sich auf seinen Sitz zurück, da traf sein Blick das etwas belustigte Gesicht seines Reisegefährten zur Rechten. Der mochte über sein Buch hinweg wohl etwas von dieser Lektüre mit Hindernissen beobachtet haben und reichte ihm jetzt lächelnd eine Zeitung.
»Bitte, Herr Astenryk. Das ist dieselbe Nummer der ›Daily Mail‹, die Sie anscheinend so interessiert. Sie können sie gern erhalten. Ich habe sie gelesen.«
Etwas verlegen nahm Georg Astenryk das Blatt an sich. »Sehr liebenswürdig, Herr Major. Meinen verbindlichsten Dank.«—
Der Zug hielt in Compiègne. Major Dale erhob sich und reichte Georg Astenryk die Hand zum Abschied. »Es war mir eine angenehme Bekanntschaft. Vielleicht fügt es das Schicksal, daß wir uns später noch einmal wiedersehen.«
»Das würde mich sehr freuen, Herr Major. Sollte der Zufall Sie in Australien gelegentlich wieder mit meinem Bruder Jan zusammenbringen, grüßen Sie ihn bitte.«
Der Zug rückte an. Georg Astenryk sah dem Reisegefährten nach, bis der an einem Autostand seinen Blicken entschwand. Ein hervorragender Mensch, dieser Major Dale aus Sydney, dachte er dabei. Natürlich, sonst wäre er ja nicht nach London in den Generalstab berufen. Man wird von ihm vielleicht noch hören, wenn es wirklich im Fernen Osten zu der großen Auseinandersetzung kommt. Was er über die gespannte Lage dahinten erzählte, war interessant. Danach ist ja eher früher als später ein Krieg zu erwarten. Daß er da drüben auch Jan kennengelernt hat... die Welt ist doch wirklich ein Dorf. —
Auch der Australier hatte von seinem deutschen Reisegefährten einen nachhaltigen Eindruck empfangen. Im Anfang der Fahrt, ehe sie miteinander ins Gespräch gekommen, hatte er sich immer wieder gefragt: Was ist das für ein Mensch da drüben? Was kann der sein? Dieser Zwiespalt in den starken, aber doch klaren Gesichtszügen. Die hohe Stirn, die klugen Augen des Gelehrten über dem kräftigen Kinn des Tatmenschen. Er mußte mit ihm bekannt werden, um über dessen Persönlichkeit Aufklärung zu bekommen. Es überraschte ihn, als er erfuhr, wie jung sein Gegenüber noch war. Er hätte ihn ohne weiteres zehn Jahre älter geschätzt. Der schien aus anderem Holz geschnitzt als sein Halbbruder Jan Valverde in Australien. Der war wohl ein ganz guter Farmer, aber auch nicht mehr als das. Dieser Astenryk überragte ihn jedenfalls turmhoch an geistigen Kräften.—
Georg Astenryk entfaltete jetzt die Zeitung Dales und nahm sich den Aufsatz vor, der ihn so interessiert hatte. Der Artikel trug die Überschrift »Erinnerungen eines russischen Arztes von Dr. Nikolai Rostow«. Er las ihn von der Stelle weiter, bis zu der er vorher gekommen war.
»... General Iwanow gab dem Offizier den Befehl, niemand in das Zimmer hineinzulassen. Nach einer längeren Besprechung verpflichtete er alle Anwesenden bis zur Klärung der Angelegenheit zu strengstem Schweigen.
Die Vorgänge in Irkutsk waren auch in Moskau bekanntgeworden und die Regierung schickte sofort einen Stab hervorragender Kriminalisten und Gelehrter, darunter auch meinen Freund, den Generalarzt Orlow, von dem ich diese Mitteilungen habe, dorthin.
Die peinlichst genau durchgeführte Untersuchung ergab jedoch nichts, das geeignet gewesen wäre, den Schleier des Geheimnisses zu lüften.
Der von dem Offizier erschossene alte Mann war als ein Professor Allgermissen festgestellt worden. Dieser, ein Deutschbalte, als politisch Verdächtiger nach Irkutsk verbannt, arbeitete in dem staatlichen Laboratorium als Assistent unter dem Direktor des Instituts. Er hatte schon früher als Sonderling gegolten, als Wissenschaftler genoß er einen vorzüglichen Ruf.
Schon mehrmals hatte man Verdacht, daß Allgermissen Arbeiten, deren Resultate schon greifbar schienen, absichtlich falsch auslaufen ließ oder zum wenigsten stark verzögere. In der letzten Zeit hatte der Professor seinen Haß gegen die Regierung in mehr oder weniger versteckten Redensarten zum Ausdruck gebracht. Als er sich sogar in offenkundigen Drohreden erging, steckte man ihn und gleichzeitig seine Frau und seine Tochter Lydia ins Gefängnis. Während der Untersuchung starb Frau Allgermissen. Professor Allgermissen, der schon gleich nach seiner Verhaftung von den Ärzten als etwas geistesgestört bezeichnet wurde, verfiel jetzt in völligen Wahnsinn. Er wurde nach der Krankenabteilung des Gefängnisses gebracht, aus der er dann an jenem Tage unter allerdings sehr auffälligen Umständen entfloh.
Unter den auf jenen rätselhaften Befehl des Generals Iwanow aus dem Gefängnis Entlassenen befand sich auch Lydia Allgermissen. Sie hatte sich vom Gefängnis nach ihrer früheren Wohnung begeben. Von diesem Zeitpunkt ab war sie verschwunden.
Nachdem die Moskauer Kommission sich lange Zeit vergeblich bemüht hatte, eine triftige Aufklärung der geheimnisvollen Vorfälle zu geben, begnügte man sich schließlich mit der plausiblen Annahme, daß Professor Allgermissen über ungewöhnlich starke hypnotische Kräfte verfügt haben müsse.—
Dr. Orlow hat sich mit mir und auch mit anderen Fachleuten vergeblich bemüht, eine bessere, einigermaßen wissenschaftliche Erklärung zu finden. Vielleicht, daß ein Leser früher oder später die richtige Lösung findet.«
Damit schloß der Artikel in der »Daily Mail«. Georg Astenryk ließ das Blatt sinken und nickte nachdenklich vor sich hin, als wolle er sagen: Ich habe die Erklärung zum Teil schon gefunden, mein lieber Herr Doktor Rostow. Er barg die Zeitung sorgfältig in seiner Brusttasche, dachte dabei: Jetzt, wo ich den Bericht meines Freundes Lönholdt von solch authentischer Seite bestätigt finde, werde ich mich etwas ernsthafter mit dem beschäftigen, was ich von Allgermissen weiß.
»An Zeit mangelt es mir ja nicht«, sagte er mit einem bitteren Zug um die Lippen leise vor sich hin, »seitdem ich die Leitung der Firma Astenryk und Kompanie dem Konkursverwalter überlassen mußte...«
Dachte dann weiter... dieser Allgermissen... Genie oder Wahnsinn?... Genie und Wahnsinn?... Daß der schwer geisteskrank gewesen, stand wohl außer Zweifel... Wie oft hatte er deswegen die Beschäftigung mit dem Problem Allgermissens beiseitegeschoben, hatte sich gesagt: Es sind doch nur die Ideen eines Verrückten...
Und doch! Jetzt, wo er Lönholdts Bericht durch den russischen Arzt in jeder Beziehung bestätigt fand, jetzt mußten solche Zweifel schwinden. Jetzt durfte ihm selbst das Benehmen Allgermissens in der Nacht vor seiner Verhaftung nicht mehr als das eines völlig Wahnsinnigen erscheinen.
Was stand darüber in Lönholdts Tagebuch? Professor Allgermissen hatte in jener Nacht in wildem Triumphgeheul geschrien: »Tod und Vernichtung allen Bolschewiken!... Ich bin der Herr der Welt!... Die ganze Menschheit ist mir untertänig!« Jetzt mußte tatsächlich das Ungeheuerlichste möglich werden können. Jetzt mußte man den Worten Allgermissens einen realer Sinn zugestehen, auch wenn man, weiter denkend, auf unheimlich phantastische Folgen und Ziele stieß...
Georgs Gedanken wanderten. Seine innerliche Erregung steigerte sich mehr und mehr. »Mein Gott!« rief er schließlich laut aus, »man könnte ja auch wahnsinnig werden, wenn man das alles bis zum letzten Ende durchdenkt. Ja, wahnsinnig könnte man werden... wie es auch Allgermissen wurde... wurde, nicht war.«
Er schrak zusammen. Ein Schaffner trat in die Tür und regulierte die Platzmarken. Ein Blick aus dem Fenster zeigte Georg Astenryk schon die hohen Hinterwände der städtischen Häuser. Ein Blick auf die Uhr: in wenigen Minuten würde er seine Verlobte Anne Escheloh in die Arme schließen.
Der Zug lief in den Nordbahnhof ein. »Paris!« An der Sperre erblickte er von weitem Anne. Sie hatte ihn noch nicht gesehen. Seine Augen hingen an dem schönen, reinen Profil seiner Verlobten. Er winkte ihr zu. Sie erkannte ihn, winkte wider, Und dann stand er vor ihr... erschrak.
»Anne! Liebe Anne!« Ei drückte sie fest an sich. »Anne!«... Freude und Erschrecken lagen in seiner Stimme. Wie hatte sich ihr Gesicht verändert, daß selbst die Freude des Wiedersehens nicht die tiefen Schatten verwischen konnte, die auf ihren Zügen lagen!
Er kannte Anne zu gut. Sie hatte eines jener Gesichter, die zwar gelernt haben sich zu beherrschen, die aber zu durchsichtig sind, um die Regungen der Seele zu verbergen. Dieser fremde Zug um den Mund, diese verschleierten Augen sprachen von innerem Leid.
»Georg! Mein lieber, guter Georg! Wie freue ich mich, dich wieder zu haben.«
»Und ich auch, mein Liebling. Wenn wir uns auch unter traurigen Umständen...«
»Nicht jetzt! Ach, sprich jetzt nicht weiter davon, Georg. Laß uns die Freude des Wiedersehens genießen... später davon. Wir wollen gleich zu uns fahren. Du wohnst auch, wie mein Schwager Forbin und Helene, in der Pension Pellonard in der Rue Frémont. Ein Zimmer ist für dich reserviert.«
»Ach, das ist ja wundervoll, daß wir zusammenwohnen, Anne. Um so mehr werden wir voneinander haben.«
Sie gingen zu dem Taxistand und fuhren zur Rue Frémont. Alfred und Helene Forbin waren nicht zu Hause. Georg war darüber nicht böse. Allein mit Anne, schloß er sie in zärtlichem Mitleid in die Arme.
»Anne! Du bist so verändert. Drückt dich etwas? Nach deinem Briefe schienst du mir... ich will nicht sagen, glücklich... aber doch ganz zufrieden mit deinem Aufenthalt hier. Fühlst du dich nicht wohl bei deinem Schwager, oder ist es was anderes?«
Anne Escheloh wandte sich zur Seite.
»Ach... sprechen wir doch nicht davon, Georg! Warum soll ich nicht zufrieden sein, da es mir ja an nichts fehlt? Ich muß nur immer an dich denken. Was hast du nicht alles in der letzten Zeit durchmachen müssen! Der Tod deines Vaters, die Hypothekengeschichte und nun gar der Konkurs eures alten Werkes... Was wirst du anfangen, wenn sie dir alles genommen haben?«
»Anne! Ist es wirklich nur das? Hast du nicht auch anderen Kummer? Ich möchte dir ja so gern glauben, aber ich kann es nicht. Um mich brauchst du dich keinesfalls zu sorgen. Ich werde schon durchkommen. Aber daß du dich hier auch nur einigermaßen wohl fühlst... ich kann's nicht glauben, Anne!
Als damals dein Vater starb und du dich diesem zweifelhaften Forbin —verzeih, daß ich von dem Mann deiner Schwester so spreche—anschlossest, da dachte ich mir: Lange soll das nicht dauern, dann hole ich dich mir wieder. Die Halunken, die mich zum Konkurs brachten, haben auch durch diesen Plan einen Strich gemacht... vorläufig... denn Anne, meine liebe Anne, wenn du zu mir hältst... ich werde nie von dir lassen. Und einmal wird ja doch der Tag kommen, wo...«
»Georg, schweige doch! Was sprichst du da! Ich sollte nicht immer zu dir halten? Was auch kommen mag, ich lasse dich nicht.
Aber erzähle doch jetzt, wie es möglich war, daß du für dein gutgehendes Werk nicht das Geld auftreiben konntest, um den Konkurs abzuwenden?«
Es war eine traurige Geschichte, die Georg zu erzählen hatte. Die große Hypothek von den Erben des früheren Teilhabers verkauft, von dem neuen Besitzer überraschend gekündigt. Keine Möglichkeit, so schnell das Kapital für die Rückzahlung zu beschaffen. Dazu böswillige Gerüchte über den Stand der Firma... der schwere Gang zum Konkursrichter unvermeidlich.
Und das alles nur dunkle Machenschaften einer französischen Interessengruppe, um ihn zu zwingen, die heranreifenden Früchte einer jahrelangen Erfindertätigkeit denen auszuliefern.
»Hast du schon irgendwelche Pläne für die Zukunft, Georg?«
»Gewiß habe ich allerhand Pläne. Aber ich kann zur Zeit leider noch nicht sagen, was sich davon verwirklichen läßt. Jedenfalls muß ich, solange der Konkurs dauert, in Neustadt bleiben. Das wird sich wohl noch einige Wochen hinziehen.«
»Ja, aber wie wird's denn mit deinen Arbeiten? Ich meine deine Erfindung... die elektrische Kohlenbatterie?«
»Das ist ja gerade die Frage, die so schwer zu lösen ist. Wäre ich frei von dem Banne, in dem sie mich hält, wäre es anders. Ich werde ganz wahrscheinlich das freundliche Anerbieten der Tante Mila in München annehmen. Sie will mir zur Fortführung meiner Arbeiten ihr Almhaus am Wilden Rain oben in den bayerischen Bergen zur Verfügung stellen und mich, soweit es ihre bescheidenen Mittel erlauben, unterstützen.«
»Ach, das ist ja sehr lieb von der guten Tante«, unterbrach ihn Anne.
Über Georgs Gesicht ging ein Schatten.
»Gewiß, Anne! Ich bin natürlich Tante Mila sehr dankbar dafür, aber es fällt mir nicht leicht, ihr Anerbieten anzunehmen. Sie lebt von ihrer Witwenpension und muß sich jetzt wahrscheinlich etwas einschränken. Das ist mir im höchsten Grade unangenehm. Ich, ein junger, kräftiger Mensch, der etwas gelernt hat, soll einer alten, kränklichen Verwandten auf der Tasche liegen!
Aber ich tu's—fast möchte ich sagen, muß es tun—, um mich mit voller Konzentration und ausschließlich meinen Erfinderarbeiten widmen zu können. Der Gedanke, dadurch vielleicht Jahre sparen zu können, läßt mich das alles vor mir selbst verantworten. Diese fremdländische Erpressergesellschaft soll sich jedenfalls in mir getäuscht haben. Was auch kommen mag, ich werde nicht zu Kreuze kriechen. Also...«
Schritte, die sich auf dem Flur draußen näherten, ließen ihn verstummen. Gleich darauf öffnete sich die Tür und Annes Schwester Helene trat in das Zimmer.
Frau Helene Forbin war eine selten schöne Erscheinung, und wer sie näher kannte, wußte nicht, was er mehr bewundern sollte: ihre äußere Schönheit oder ihren glänzenden Geist? Eine Frau von Welt vom Scheitel bis zur Sohle. Wie war es möglich, daß eine solche Frau einem Mann wie Alfred Forbin, einem Hasardeur, einem Glücksritter, die Hand gereicht hatte? Diese Gedanken, wie schon so oft, bei Georg Astenryk, während er auf sie zuging.
»Ah! Georg! Ich freue mich sehr, Sie hier zu sehen. Das waren ja traurige Nachrichten aus Neustadt. Wir alle haben Sie von ganzem Herzen bedauert. Wie lange gedenken Sie bei uns in Paris zu bleiben? Entschuldigen Sie die Frage! Es würde uns natürlich eine besondere Freude sein, wenn Sie recht lange hierbleiben könnten... oh! Was sagen Sie... nur drei Tage? Das ist ja sehr kurz. Anne, bist du damit so ohne weiteres einverstanden?« Sie legte die Hand um die Schulter der Schwester.
Georg merkte wohl, wie Anne kaum merklich zur Seite wich, um die Hand Helenes abzustreifen. Er kam seiner Verlobten zu Hilfe. »Sie vergessen ganz, Helene, daß ich zu Hause leider nicht längere Zeit entbehrlich bin. Der Konkursverwalter braucht mich notwendig bei der Abwicklung der Geschäfte. Diese Reise nach Paris erfolgt ja auch nur in seinem Auftrag, um mit einigen Schuldnern des Werkes Rücksprache zu nehmen.«
»Nun, dann ist es unsere Sache, Ihnen diese kurze Zeit recht vergnügt und angenehm zu machen. Den heutigen Abend werden wir aber unter uns bleiben. Alfred läßt sich entschuldigen, daß er erst später kommen kann. Er hat geschäftliche Abhaltungen. Zur Sicherheit will ich versuchen, ihn telephonisch zu erreichen.«
In demselben Augenblick rasselte das Telephon im Nebenzimmer.
»Vielleicht ist es Alfred.« Helene ging hinaus, nahm den Hörer.
»Bist du da, Helene?« klang Forbins Stimme an ihr Ohr. »Gut! Ja! So höre... ist Astenryk gekommen? Wie? Er wird nur drei Tage hierbleiben? Dann müssen wir uns beeilen. Wie sagst du? Wann ich komme? Das ist noch unbestimmt. Ich bin hier in der Fédération Industrielle und warte auf Raconier. Ich werde später noch mal anrufen.«
Forbin legte den Hörer auf. Als er aus der Zelle trat, traf er Raconiers Sekretärin.
»Eine Frage bitte, mein Fräulein. Ist Herr Chefingenieur Raconier schon da?«
»Nein, er ist noch im Wirtschaftsministerium, wird aber sicher bald kommen.«
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