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Die Sklavenkarawane - ebook
Die Sklavenkarawane - ebook
Die Sklavenkarawane ist ein Abenteuerroman von Karl May. Die vorliegende Erzählung spielt in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts. Die Brüder Joseph und Emil Schwartz befinden sich auf einer wissenschaftlichen Reise im Sudan. Im Sudan unterdrücken gewissenlose Ausbeuter die Dörfer der Eingeborenen, plündern und morden und verkaufen die Bewohner an ebenso gewissenlose Händler. Da treffen sie auf Sklavenjäger und setzen alles daran, ihnen das Handwerk zu legen. Mehrere Araber vom Stamme der Homr versuchen, Emil Schwarz auf seiner Reise nach Faschoda zu ermorden. Spannungsgeladenes und ereignisreiches Reise-Abenteuer von Karl May.
Kategoria: | Classic Literature |
Język: | Inny |
Zabezpieczenie: |
Watermark
|
ISBN: | 978-83-8136-527-7 |
Rozmiar pliku: | 2,6 MB |
FRAGMENT KSIĄŻKI
Ein Dschelabi.
»Haï es sala« – rief der fromme Schech el dschemali, der Anführer der Karawane – »auf zum Gebete! El Asr ist da, die Zeit der Kniebeugung, drei Stunden nach Mittag!«
Die Männer kamen herbei, warfen sich auf den sonnendurchglühten Boden nieder, ließen den Sand durch die Hände gleiten und rieben sich denselben an Stelle des fehlenden, zur vorgeschriebenen Waschung nötigen Wassers sanft gegen die Wangen. Dabei sprachen sie laut die Worte der Fathha, der ersten Sure des Korans:
»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichts. Dir wollen wir dienen und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die sich deiner Gnade freuen, und nicht den Weg derer, über welche du zürnest, und nicht den der Irrenden!«
Dabei knieten die Betenden in der Kibbla, das heißt mit dem Gesichte nach der Gegend von Mekka gerichtet. Sie fuhren unter fortgesetzten Verbeugungen fort, sich mit dem Sande zu waschen, bis der Schech sich erhob und ihnen damit das Zeichen gab, daß die gottesdienstliche Handlung zu Ende sei. Das Gesetz gestattet dem Reisenden, in der wasserarmen Wüste, die bei den täglichen Gebeten stattzuhabende Reinigung mit Hilfe des Sandes bildlich vorzunehmen, und diese Milde verstößt keineswegs gegen die Anschauung des Wüstenbewohners. Er nennt die Wüste Bahr bala moïje lakin miljan nukat er raml, das Meer ohne Wasser, aber voller Sandtropfen, und vergleicht also den Sand der endlos scheinenden Einöde mit den Wassern des ebenso unendlich sich darstellenden Meeres.
Freilich war es nicht die große Sahara, auch nicht die mit ihren welligen Sandhügeln einer bewegten See gleichende Hammada, in welcher sich die kleine Karawane befand, aber ein Stück Wüste war es doch, welches rundum vor dem Auge lag, so weit dasselbe nur zu blicken vermochte. Sand, Sand und nichts als Sand! Kein Baum, kein Strauch, nicht einmal ein Grashalm war zu sehen. Dazu strahlte die Sonne wahrhaft glühend vom Himmel hernieder, und es gab nirgends Schatten als hinter der zerklüfteten, zackigen Felsengruppe, welche sich aus der Sandebene erhob und den Ruinen einer alten Zwingburg glich.
In diesem Schatten hatte die Karawane seit einer Stunde vor Mittag bis jetzt gelagert, um den Kamelen während der heißesten Tagesstunden Ruhe zu gönnen. Nun war die Zeit des Asr vorüber, und man wollte aufbrechen. Der Moslem und ganz besonders der Bewohner der Wüste tritt seine Reisen überhaupt fast stets zur Stunde des Asr an. Nur die Not kann ihn veranlassen, davon eine Ausnahme zu machen, und wenn dann die Wanderung nicht den gehofften günstigen Verlauf nimmt, so schiebt er sicher die Schuld auf den Umstand, daß er nicht zur glückverheißenden Stunde aufgebrochen sei.
Die Karawane war nicht groß. Sie bestand aus nur sechs Personen mit ebenso vielen Reit- und fünf Lastkamelen. Fünf von den Männern waren Homr-Araber, welche als sehr bigotte Muselmänner bekannt sind. Daß dieser Ruf ein wohlverdienter sei, zeigte sich jetzt nach dem Gebete; denn, als die fünf sich erhoben hatten und sich zu ihren Tieren begaben, murmelte der Schech den andern leise zu:
»Allah jenahrl el kelb, el nusrani – Gott verderbe den Hund, den Christen!«
Dabei warf er einen verborgenen, bösen Blick auf den sechsten Mann, welcher hart am Felsen saß und damit beschäftigt war, einen kleinen Vogel auszubalgen.
Dieser Mann hatte nicht die scharfgeschnittenen Gesichtszüge und die Glutaugen der Araber, auch nicht ihre schmächtige Gestalt. Als er sah, daß sie aufbrechen wollten, und sich nun erhob, zeigte sich seine Figur so hoch, stark und breitschulterig wie diejenige eines preußischen Gardekürassiers. Sein Haar war blond, ebenso der dichte Vollbart, der sein Gesicht umschloß. Seine Augen waren von blauer Farbe und seine Gesichtszüge von einer bei den männlichen Semiten ganz ungewöhnlichen Weichheit.
Er war genau so wie seine arabischen Gesellschafter gekleidet; das heißt, er trug einen hellen Burnus mit über den Kopf gezogener Kapuze. Doch, als er sein Kamel jetzt bestieg und sich dabei der Burnus vorn öffnete, war zu sehen, daß er hohe Wasserstiefel anhatte, eine gewiß seltene Erscheinung hier in dieser Gegend. Aus seinem Gürtel blickten die Griffe zweier Revolver und eines Messers, und an dem Sattel hingen zwei Gewehre, ein leichteres zur Tötung von Vögeln und ein schwereres zur Erlegung größerer Tiere, beide aber Hinterlader. Vor den Augen trug er eine Schutzbrille.
»Reiten wir jetzt weiter?« fragte er den Schech el dschemali im Dialekte von Kahira (Kairo).
»Ja, wenn es dem Abu 'l arba ijun gefällig ist,« antwortete der Araber.
Seine Worte waren höflich: aber er bemühte sich vergeblich, seinem Gesichte dabei einen freundlichen Ausdruck zu geben. Abu 'l arba ijun bedeutet »Vater der vier Augen.« Der Araber liebt es, andern und zumal Fremden, deren Namen er nicht aussprechen und sich nicht gut merken kann, eine Bezeichnung zu geben, welche sich auf irgend einen ihm auffälligen Umstand oder auf eine in die Augen springende Eigenschaft beziehen, welche der Betreffende besitzt. Hier war es die Brille, welcher der Reisende den sonderbaren Namen verdankte.
Diese Namen beginnen gewöhnlich mit Abu oder Ben und Ibn, mit Omm oder Bent, das heißt mit Vater oder Sohn, Mutter oder Tochter. So gibt es Namen wie Vater des Säbels ein tapferer Mann, Sohn des Verstandes – ein kluger Jüngling, Mutter des Kuskussu – eine Frau, welche diese Speise gut zuzubereiten versteht, Tochter des Gespräches – ein klatschhaftes Mädchen. Auch in andern, nicht orientalischen Ländern hat man eine ähnliche Gewohnheit, so zum Beispiele in den Vereinigten Staaten bezüglich des Wortes Old. Old Firehand, Old Shatterhand, Old Coon sind dort bekannte Namen berühmter Prairiejäger.
»Wann werden wir den Bahr el abiad erreichen?« erkundigte sich der Fremde.
»Morgen, noch vor dem Einbruch des Abends.«
»Und Faschodah?«
»Zu derselben Zeit, denn wenn Allah will, so werden wir gerade an der Stelle, auf welcher diese Stadt liegt, auf den Fluß stoßen.«
»Das ist gut! Ich kenne diese Gegend nicht genau. Hoffentlich wißt Ihr besser Bescheid als ich und werdet Euch nicht verirren!«
»Die Beni-Homr verirren sich nie. Sie kennen das ganze Land zwischen der Dschesirah, Sennar und dem Lande Wadai. Der Vater der vier Augen (* Arab. Bez. für Löwe) braucht keine Sorge zu haben.«
Er sprach diese Worte in einem sehr selbstbewußten Tone aus, und warf aber dabei einen heimlichen, höhnischen Blick auf seine Gefährten, welcher, wenn der Fremde ihn gesehen hätte, demselben wohl verdächtig vorgekommen wäre. Dieser Blick sagte mit größter Deutlichkeit, daß der Reisende weder den Nil noch Faschodah erreichen solle.
»Und wo übernachten wir heute?« fragte der Fremde weiter.
»Am Bir Aslan, den wir eine Stunde nach dem Mogreb erreichen werden.«
»Dieser Name hat keinen beruhigenden Klang. Wird der Brunnen durch Löwen unsicher gemacht?«
»Jetzt nicht mehr. Aber vor vielen Jahren hatte sich der 'Herr mit dem dicken Kopfe' samt seiner Frau und seinen Kindern niedergelassen. Es fielen ihm viele Menschen und Tiere zum Opfer, und alle Krieger und Jäger, welche auszogen, um ihn zu töten, kamen mit zerrissenen Gliedern zurück oder wurden gar von ihm gefressen. Allah verdamme seine Seele und die Seelen aller seiner Vorfahren und Nachkommen! Da kam ein fremder Mann aus Frankhistan, der wickelte ein Gift in ein Stück Fleisch und brachte es in die Nähe des Brunnens. Am andern Tage lag der Fresser tot am Wasser. Sein Weib war darüber so erschrocken, daß sie mit ihren Kindern davonzog, wohin, das erfuhr man nicht, doch Allah weiß es. Möge sie mit ihren Söhnen und Töchtern im Elende erstickt sein! Seit jener Zeit hat es nie wieder einen Löwen an diesem Brunnen gegeben, aber den Namen hat er behalten.«
Der arabische Bewohner der Wüste spricht in einem so schlechten Tone nur dann von einem Löwen, wenn dieser nicht mehr lebt und ihm also keinen Schaden mehr bereiten kann. Einem lebenden Löwen gegenüber aber hütet er sich, solche beleidigende Ausdrücke oder gar Verwünschungen zu gebrauchen. Er vermeidet es sogar, das Wort Saba, Löwe, zu gebrauchen, und wenn er sich desselben je bedient, so spricht er es nur flüsternd aus, damit das Raubtier es nicht hören könne. Er meint, der Löwe höre das Wort stundenweit und komme herbei, sobald es ausgesprochen wird.
Wie die Negervölker des Sudan, so sind auch viele Araber der Ansicht, daß im Löwen die Seele irgend eines verstorbenen Scheichs stecke. Darum dulden sie seine Räubereien lange Zeit, bis er zu große Opfer von ihnen fordert. Dann ziehen sie in Masse aus, um ihn zu vernichten, wobei sie den Kampf durch hochtrabende Rede, welche sie ihm halten, einleiten.
Während der kühne europäische Jäger sich nicht scheut, dem Löwen ganz allein gegenüber zu treten, während er das fürchterliche Raubtier sogar am liebsten des Nachts an der Tränke aufsucht, um es mit der sicheren Kugel zu erlegen, hält der Araber das nicht nur für eine außerordentliche Kühnheit, sondern geradezu für Wahnsinn. Hat der Löwe die Herden eines arabischen Duar (* Zeltdorf) so gelichtet, daß den Leuten endlich doch die Geduld vergeht, so machen sich alle wehrfähigen Individuen auf, ihn zu erlegen. Das geschieht natürlich am hellen Tage. Man rüstet sich mit allen möglichen Waffen, sogar mit Steinen, betet die heilige Fathha und rückt dem Löwen vor sein Lager, welches gewöhnlich sich zwischen Felsen befindet, die von dornigem Gestrüpp umgeben sind.
Nun beginnt einer, welcher sich durch besondere Sprachgewandtheit auszeichnet, dem Tiere in höflichen Ausdrücken mitzuteilen, daß man wünscht, er möge die Gegend verlassen und die Rinder, Kamele und Schafe eines andern Dorfes verspeisen. Das ist natürlich ohne Erfolg. Es wird ihm der Beschluß der Dorfältesten nun in dringenderer, ernsterer Weise zu Gehör gebracht – ebenso umsonst. Darauf erklärt der Sprecher, daß man jetzt gezwungen sei, gewaltsame Maßregeln zu ergreifen, und man beginnt, so lange mit Steinen nach dem Dickicht zu werfen, bis der aus seinem Tagesschlummer aufgescheuchte Löwe erscheint, indem er stolz und majestätisch hinter den Felsen und aus dem Gestrüppe hervortritt. In diesem Augenblicke schwirren alle Pfeile, sausen alle Wurfspeere und krachen alle Flinten. Dabei ertönt ein Schreien und Heulen, daß der Löwe, wenn er nur ein wenig musikalisches Gehör hätte, augenblicklich davonrennen würde.
Keiner hat sich Zeit genommen, richtig zu zielen. Die meisten Geschosse gehen an dem Tiere vorüber; nur einige treffen, indem sie ihn leicht verwunden. Da sprühen seine Augen Feuer – ein Sprung, und er hat einen der Jäger unter sich liegen. Wieder krachen die Schüsse. Der Löwe, jetzt schwerer verwundet, holt sich noch ein zweites, ein drittes Opfer, bis er von den Geschossen, von denen keins wirklich tödlich traf, ganz durchlöchert tot zusammenbricht.
Nun aber ist es aus mit dem Respekte, mit welchem er vorher angeredet wurde, denn er ist tot und kann keine Beleidigung mehr rächen. Man wirft sich auf ihn; man tritt ihn mit Füßen und schlägt ihn mit Fäusten; man speit ihn an und besudelt sein Andenken, seine Vorfahren und Verwandten mit Schimpfworten, von denen die arabische Sprache einen fast unerschöpflichen Schatz besitzt.
Der Fremde lächelte ein wenig über den Bericht des Schechs. Es war ein Lächeln, welches bekundete, daß er sich gewiß nicht von dem »Herrn mit dem dicken Kopfe« und seiner Familie hätte »auffressen« lassen.
Diese kurze Unterhaltung hatte stattgefunden während man aufbrach. Dies geschieht nicht so leicht, wie der Europäer denken mag. Hat man Pferde als Reittiere, nun, so steigt man einfach in den Sattel und reitet davon. Bei den Kamelen aber ist es anders, besonders bei den Lastkamelen. Diese sind keineswegs die geduldigen Tiere, als welche sie in zahlreichen Büchern beschrieben werden. Sie sind vielmehr faul, bösartig und heimtückisch, ganz abgesehen von ihrer natürlichen Häßlichkeit und dem unangenehmen Geruch, den sie verbreiten. Dieser letztere ist so widerlich, daß es Pferde verschmähen, eine Nacht neben Kamelen zuzubringen. Das »Schiff der Wüste« ist ein bissiges Vieh; es schlägt vorn und hinten aus, hat keine Anhänglichkeit und besitzt eine Indolenz, welche nur von seiner Rachsucht noch übertroffen wird. Es gibt Tiere, denen sich kein Europäer nahen darf, ohne in Gefahr zu geraten, gebissen oder unter die Füße getreten zu werden.
Wahr ist's freilich, daß das Kamel sehr genügsam und ausdauernd ist, aber die außerordentlichen Leistungen, von denen man in dieser Beziehung gefabelt hat, beruhen auf Übertreibung. Kein Kamel vermag länger als drei Tage zu dürsten. So lange hält der Wasservorrat seines Magens aus, nicht länger. Wird es nach dieser Zeit nicht getränkt, so legt es sich nieder und ist selbst durch die grausamste Behandlung nicht wieder auf die Beine zu bringen. Es bleibt liegen, um zu verschmachten.
Ebenso ist es eine Lüge, daß der Beduine, wenn ihm das Wasser ausgeht, sein Leben rettet, indem er sein Kamel ersticht, um das in dem Magen desselben befindliche Wasser zu trinken. Der Magen eines geschlachteten Kamels enthält kein Wasser sondern eine blutwarme, dicke, mit Futterresten vermischte und schlimmer als ein Düngerhaufen nach allen möglichen Ammoniumsalzen riechende, dem Inhalte unserer Senkgruben ähnliche Jauche. Selbst ein Mensch, welcher vor Durst im Verschmachten liegt, wird keinen Schluck dieses entsetzlichen Zeuges trinken können.
Die schlechten Eigenschaften des Kamels zeigen sich während der Reise besonders nach der Ruhezeit, wenn es wieder beladen werden soll. Da wehrt es sich nach Leibeskräften mit dem Maule und den Beinen; da stöhnt und röchelt, da ächzt und brüllt es aus Leibeskräften. Dazu kommt dann das Zanken, Schreien und Fluchen der Männer, welche an ihm und der Ladung herumzerren. Es gibt das stets eine Scene, daß man davonlaufen möchte.
Von etwas edlerem Charakter sind die Reitkamele, Hedschin genannt. Es gibt da Tiere, welche sehr teuer bezahlt werden. Man hat für ein graues Bischarihnhedschin zehntausend Mark bezahlen sehen. Der Sattel des Lastkamels ist ein dachförmiges Gestell mit erhöhten Giebeln, welche den vordern und hintern Sattelknopf bilden. Er wird Hauiah genannt. Dagegen heißt der Sattel des schlanken, hohen Hedschin Machlufah. Er ist so eingerichtet, daß der Reiter in eine bequeme Vertiefung zu sitzen kommt, so daß er die beiden Beine vor dem vordern Sattelknopfe auf dem Halse des Kamels kreuzt. Wenn der Reiter aufsteigt, muß das Kamel am Boden liegen. Kaum hat er mit der Hand den Sattel berührt, so schnellt das Kamel erst hinten und dann vorn empor, so daß der Mann erst nach vorn und dann wieder nach hinten geworfen wird. Er muß gut Balance halten, um nicht abgeschleudert zu werden.
Ist das Kamel dann einmal im Gange, so hat selbst das Lasttier einen so steten und ausgiebigen Schritt, daß man mit demselben verhältnismäßig große Strecken zurücklegt.
Die Beni Homr hatten genug zu thun, den Kamelen die Lasten wieder aufzuschnallen. Während das geschah, war der Fremde auf sein Hedschin gestiegen und langsam vorausgeritten. Er kannte zwar die Gegend nicht, wußte aber die Richtung, nach welcher er sich zu wenden hatte.
»Dieser Hund hat sich nicht bewegt, während wir beteten,« sagte der Schech. »Er hat weder die Hände gefaltet noch die Lippen bewegt. Möge er im tiefsten Loche der Dschehenna (* Hölle) braten!«
»Warum hast du ihn nicht längst dahin geschickt!« brummte einer seiner Leute.
»Wenn du das nicht begreifst, so hat Allah dir kein Gehirn gegeben; hast du denn nicht die Waffen dieses Christen gesehen? Hast du nicht bemerkt, daß er mit jeder kleinen Pistole, deren er zwei hat, sechsmal schießen kann ohne zu laden? Und in seinen Flinten hat er vier Schüsse. Das macht zusammen sechzehn; wir aber sind nur fünf Personen.«
»So müssen wir ihn töten, während er schläft.«
»Nein, ich bin ein Krieger, aber kein Feigling. Ich töte keinen Schlafenden. Aber gegen sechzehn Kugeln können wir nichts machen, und darum habe ich Abu el Mot (* Vater des Todes) gesagt, daß wir heute den Bir Aslan erreichen werden. Dort mag er thun, was ihm gefällt, und wir werden mit ihm teilen.«
»Wenn es etwas gibt, was des Teilens wert ist! Was hat dieser Christ denn bei sich? Häute von Tieren und Vögeln, welche er ausstopfen will, Flaschen voller Schlangen, Molche und Skorpionen, mit denen Allah ihn braten möge! Ferner Blumen, Blätter und Gräser, welche er zwischen Papier zerquetscht. Ich glaube, er bekommt zuweilen den Besuch des Schetan (* Teufel) , den er mit diesen Dingen füttern will.«
»Und ich glaube, daß du wirklich den Verstand verloren hast. Oder hast du noch nie welchen gehabt! Warst du denn taub, als dieser Ungläubige uns erklärte, was er mit diesen Sachen machen will?«
»Ich kann das alles nicht gebrauchen, und also habe ich nicht acht gegeben, als er davon sprach.«
»Aber was eine Medresse (* Universität) ist, das weißt du?«
»Ja, ich habe davon gehört.«
»Nun, an so einer Medresse ist er Lehrer. Er unterrichtet von allen Pflanzen und Tieren der Erde und ist zu uns gekommen, um unsre Gewächse und Tiere mit heim zu nehmen und seinen Schülern zu zeigen. Auch will er große Kisten und Körbe voll davon seinem Sultan schenken, welcher besondere Häuser (* Museen) hat, in denen dergleichen Dinge aufbewahrt werden.«
»Was aber kann das uns nützen?«
»Sehr viel! Weit mehr als du denkst. Einem Sultan darf man doch nur kostbare Geschenke machen; also müssen die Tiere und Pflanzen, welche dieser Giaur (* Unglöubiger) bei uns geholt hat, in seinem Lande sehr hohen Wert besitzen. Siehst du das nicht ein?«
»Ja, Allah und du, ihr beide erleuchtet mich,« spottete der Mann.
»Ich habe darum daran gedacht, sie ihm abzunehmen und dann nach Chartum zu verkaufen. Man könnte dort einen guten Preis erzielen. Und hast du ferner nicht beobachtet, was er noch weiter bei sich hat?«
»Ja, eine ganze Ladung von Stoffen und Zeugen, Glasperlen und andern Gegenständen, mit denen man bei den Negern viel Elfenbein und viele Sklaven eintauschen könnte.«
»Und weiter!«
»Weiter weiß ich nichts.«
»Weil deine Augen verdunkelt sind. Sind seine Waffen, seine Ringe, seine Uhr nichts wert?«
»Sehr viel sogar. Und dann hat er ein Ledertäschchen unter seiner Weste. Ich sah, als er es einmal öffnete, große Papiere darin mit fremder Schrift und einem Stempel. Ich habe einmal in Chartum bei einem reichen Kaufmann so ein Papier gesehen, und da erfuhr ich, daß man sehr, sehr viel Geld bekommt, wenn man dieses Papier demjenigen gibt, dessen Namen darauf geschrieben steht. Diese Papiere werde ich bei der Teilung beanspruchen, dazu seine Waffen, seine Uhr und alles, was er bei sich trägt, auch die Kamellast mit den Zeugen und Tauschsachen. Wir werden dadurch reich werden. Das andre alles, die Kamele mit der Sammlung der Tiere und Pflanzen aber wird Abu el Mot bekommen.«
»Wird er damit einverstanden sein?«
»Ja, er ist bereits darauf eingegangen und hat mir sein Wort gegeben.«
»Und wird er gewiß kommen? Heute ist der letzte Tag. Der Giaur hat uns gemietet, ihn auf unsern Kamelen nach Faschodah zu bringen. Kommen wir morgen dort an, so ist es aus mit unserm Plane, denn er wird ohne uns weiter reisen.«
»Er wird nicht dort ankommen. Ich bin überzeugt, daß Abu el Mot uns auf dem Fuße folgt. Heute in der Nacht, kurz vor dem Morgengrauen, soll der Überfall geschehen. Zwei Stunden nach Mitternacht soll ich sechshundert Schritte weit gerade westwärts von dem Brunnen gehen und den Alten dort finden.«
»Davon hast du uns noch nichts gesagt. Wenn ihr euch in dieser Weise besprochen habt, so kommt er sicherlich, und die Beute wird unser. Wir sind Beni Arab, wohnen in der Wüste und leben von ihr. Alles, was auf ihr lebt, ist unser Eigentum, also auch dieser räudige Giaur, der sich nicht einmal mit verneigt, wenn wir zu Allah beten.«
Damit hatte er die allgemeine Ansicht der Wüstenbewohner ausgesprochen, welche den Raub für ein so ritterliches Gewerbe halten, daß sie sich dessen sogar öffentlich rühmen.
Während dieses Gespräches hatten sie ihre Tiere in Bewegung gesetzt, um dem Fremden nachzufolgen. Als sie ihn erreichten, ahnte er nicht, daß sein Tod eine von ihnen fest beschlossene Sache sei. Er hatte seine Aufmerksamkeit nicht auf sie, sondern auf einen ganz andern Gegenstand gerichtet. Plötzlich rief er seinem Kamele ein lautes »Khe khe!« zu, das Zeichen zum Anhalten und Niederknieen. Es gehorchte; er stieg aus dem Sattel und griff nach seinem Gewehre.
»Allah!« rief der Schech. »Gibt es einen Feind?«
Dabei blickte er sich ängstlich nach allen Seiten um.
»Nein,« antwortete der Reisende, indem er in die Luft deutete, »es gilt nur einem dieser Vögel.«
Die Araber folgten mit ihren Augen seinem Fingerzeige.
»Das ist ein Hedj mit seiner Frau,« sagte der Schech. »Gibt es ihn nicht auch in Eurem Lande?«
»Ja, aber von einer andern Art. Er wird bei uns Weihe, Corvus, genannt. Ich will auch einen Hedj haben.«
»Du willst ihn schießen?«
»Ja.«
»Das ist unmöglich, das bringt kein Mensch fertig, mit dem besten Gewehre nicht!«
»Wollen sehen!« lächelte der Fremde.
Die beiden Weihen waren der Karawane nach Art der Raubvögel gefolgt, immer gerade über derselben schwebend. Sie senkten sich jetzt, als die Reiter hielten, langsam weiter nieder, indem sie hintereinander eine regelmäßige Spirale beschrieben. Der Fremde setzte die Brille zurecht, stellte sich mit dem Rücken gegen die Sonne, um nicht geblendet zu werden, zielte einige Sekunden lang, mit der Mündung des Hinterladers dem Fluge der Vögel folgend, und drückte dann ab.
Das voran fliegende Männchen zuckte, legte die Flügel zusammen, spannte sie wieder auf, aber nur für wenige Augenblicke, dann konnte er sich nicht mehr in der Luft erhalten; er stürzte zur Erde nieder. Der Fremde eilte der Stelle zu, an welcher der Vogel lag, hob ihn auf und betrachtete ihn. Die Araber kamen herbei, nahmen ihm den Hedj aus der Hand und untersuchten denselben.
»Allah akbar – Gott ist groß!« rief der Schech erstaunt, »du hattest eine Kugel geladen?«
»Ja, eine kleine Kugel, keinen Schrot.«
»Und ihn doch getroffen!«
»Wie du siehst!« nickte der gute Schütze. »Das Geschoß ist ihm in die Brust gedrungen, mitten in das Leben, was freilich nur Zufall ist; aber auf den Leib hatte ich doch gezielt. Es freut mich, daß der Schuß so gut gelungen ist, denn so ist der Balg ganz unverletzt.«
»Einen Hedj zu schießen, mit einer Kugel, aus solcher Höhe! Und ihn auch an dieser Stelle zu treffen! Effendi, du bist ein ausgezeichneter Schütze, bei uns verstehen die Lehrer an den Medressen nicht zu schießen. Wo hast du das gelernt?«
»Auf der Jagd.«
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