- W empik go
Großfuß - ebook
Großfuß - ebook
Kurz vor Hanna Shaw Tod konnte sie noch einen verzweifelten Hilferuf absenden. Die Haushälterin des Anwalts Gordon Cardew Hanna Shaw wird in einem von innen verschlossenen Raum gefunden wurde."Hanna Shaw hat mich gerufen! „ Miß Leigh zeigt Oberinspektor Minter von Scotland Yard ein Telegramm: „Bitte helfen Sie mir. Kommen Sie sofort. Es geht um mein Leben.” Was hat die mysteriöse Botschaft von Hanna Shaw an Miß Leigh kurz vor Ihrem Tod zu bedeuten? Eine spannende Jagd auf den Mörder beginnt.
Kategoria: | Kryminał |
Język: | Niemiecki |
Zabezpieczenie: |
Watermark
|
ISBN: | 978-83-8115-705-6 |
Rozmiar pliku: | 2,3 MB |
FRAGMENT KSIĄŻKI
Es war ein Zufall, daß Super gerade an diesem schönen Frühlingsmorgen einen Besuch in Barley Stack machte, denn er wußte noch nichts davon, daß man versucht hatte, in Mr. Stephen Elsons Haus einzubrechen. Er hatte auch keine Ahnung, daß ein Landstreicher namens Sullivan existierte und daß sein schwachsinniger Kumpan frei in der schönen Gegend umherwanderte und obendrein noch närrische kleine Liebeslieder in einer Sprache sang, die niemand verstand.
Barley Stack hatte für Super dieselbe geheimnisvolle Anziehungskraft wie die Lampe für die Motte oder, um ein besseres Bild zu gebrauchen: die Schlacht für ein altes Soldatenpferd, Übrigens hätte er wissen müssen, daß Mr. Cardew um diese Stunde schon zur City gefahren war – Gordon Cardew hatte seine alte Gewohnheit beibehalten, um neun Uhr morgens im Büro zu sein, obgleich er seinen Beruf längst aufgegeben hatte.
Trotzdem machte Super einen Besuch. Er hatte zwar keine Gelegenheit, sich mit Cardew zu streiten, aber es war schon eine Befriedigung für ihn, sich mit Hanna Shaw ein wenig herumzuzanken. Mr. Cardew war ihm gegenüber sehr empfindlich, denn Super hatte ihn früher einmal beleidigt. Aber auch Hanna Shaw konnte nicht höflich und liebenswürdig sein. Sie haßte den alten Polizeioberinspektor und gab sich nicht die geringste Mühe, ihre Gefühle zu verbergen.
Sie stand vierschrötig in der Durchfahrt von Barley Stack, und die bösen Blicke ihrer braunen Augen sagten genug. Sie war eine Frau von mittlerer Größe und etwas untersetzt, obwohl man sie nicht als korpulent bezeich-nen konnte. Auch war ihr schwarzes Alpakakleid nicht dazu angetan, ihre Anmut zu heben. Ihr Gesicht war glatt und von regelmäßiger Schönheit. Dichtes schwarzes Haar legte sich in Wellen über die Stirn und zeigte nicht den leisesten Anflug von Grau, obwohl sie schon Anfang der Vierzig war.
»Wir haben schönes Wetter heute«, sagte Super. Müde lehnte er sich an sein altes, verbeultes Motorrad. Seine Augen waren halb geschlossen. Die Wärme des Morgens und die Schönheit der Gegend schienen ihn schläfrig zu machen. »Der Garten sieht prächtig aus, ich habe noch nie so viele Nelken und Narzissen zusammen gesehen. Ich möchte wetten, daß Sie einen guten Gärtner haben. – Ist Mr. Cardew zu Hause?«
»Nein.«
»Sicher verfolgt er die Spur der Boscomp-Bankräuber«, sagte Super und schüttelte mit geheuchelter Bewunderung den Kopf. »Als ich den Bericht über den Einbruch in der Zeitung las, sagte ich zu meinem Sergeanten: ›Um die Bande aufzuspüren, braucht man einen Mann wie Mr. Cardew – die gewöhnliche Polizei kann das nicht, die würde niemals einen Anhaltspunkt finden und gleich von vornherein auf die falsche Spur geraten.‹«
»Mr. Cardew ist in sein Büro gegangen, wie Sie wohl wissen könnten, Minter«, fuhr sie ihn an und schaute böse drein. »Er hat etwas anderes zu tun, als sich um Polizeisachen zu kümmern. Wir zahlen unsere Steuern und Abgaben für die Polizei, aber ich muß schon sagen, das sind mir nette Leute – alles unwissende, unbedeutende Menschen, die nicht einmal eine ordentliche Erziehung haben.« »Man kann nicht alles zu gleicher Zeit erwarten«, sagte Super traurig. »Das müssen Sie doch einsehen. Mrs. Shaw...«
»Miss Shaw«, verbesserte ihn Hanna laut.
»In meinen Gedanken sind Sie immer ein Fräulein«, entschuldigte sich Super. »Ich sagte noch neulich zu meinem Sergeanten: ›Ich weiß gar nicht, warum sich diese reizende, hübsche Dame nicht verheiratet. Sie ist jung...‹ «
»Ich habe keine Zeit, mich mit Ihnen zu unterhalten, Minter...«
»Mr. Minter«, bat Super höflich.
»Wenn Sie irgendeine Nachricht für Mr. Cardew haben, so will ich sie annehmen – im übrigen habe ich eine Menge Arbeit und Besseres zu tun, als mit Ihnen zu plaudern.«
»Ist in dieser Gegend in letzter Zeit irgendein Einbruch vorgekommen?« fragte Super, als sie sich schon halb zum Gehen gesandt hatte.
»Nein«, sagte sie kurz. »Und wenn wirklich einer gewesen wäre, dann hätten wir auch nicht nach Ihnen geschickt.«
»Das weiß ich ganz genau. Mr. Cardew hätte die Maße der Fußspuren der Räuber genommen und in seinen Büchern über Anthro – oder wie das Zeug heißt – nachgesehen, und noch vor Abend wäre der arme Kerl verhaftet worden.«
Hanna Shaw wandte sich plötzlich zu ihm um.
»Wenn Sie glauben, daß Sie sich hier mit Ihrer Schlauheit brüsten können, dann möchte ich Ihnen mitteilen, daß es in London Leute gibt, gegen die Sie klein und häßlich sind. Wenn Mr. Cardew zum Minister ginge und ihm nur die Hälfte von all dem erzählen würde, was Sie tun und sagen, dann müßten Sie noch vor Ende der Woche Ihre Uniform ausziehen.«
Super schaute kritisch auf den Ärmel seines Rockes.
Was hat das zu bedeuten? fragte er sich, als sie ihm die Tür heftig vor der Nase zuschlug.
Er lächelte nicht und war auch nicht beleidigt. Er nahm seine alte, schmutzige Pfeife aus der Tasche, füllte sie bedächtig, schaute bewundernd auf die herrliche Blumenpracht, die auf allen Beeten blühte, nahm sich schnell noch eine Nelke und steckte sie an das Knopfloch seines abgetragenen Rocks. Dann fuhr er unter großem Lärm mit seinem alten Motorrad die Hauptstraße hinunter.
Eine halbe Stunde später war er in seinem Büro.
»Wenn ein Mann in meine Jahre kommt und in einer gewissen Position ist«, sagte er mit einem schnellen Blick auf den hübschen, jungen Beamten, der ihm auf der anderen Seite des Tisches gegenübersaß, »dann darf er auch sentimental werden. Und heute bin ich sentimental. Es liegt etwas Wunderbares in der Luft, etwas vom Frühling, und ich habe am letzten Sonntag sogar einen Kuckuck gehört. Wenn der Kuckuck ruft und die blauen Glockenblumen auf der Wiese blühen, geht mir das Herz auf. Vorhin hatte ich eine kleine Unterhaltung mit der schönen Herrin von Barley Stack, und nun ist mein Kopf voll sentimentaler Gedanken. – Sie sagen, ich soll mir den Landstreicher einmal ansehen? Ich möchte viel lieber Schlüsselblumen pflücken.«
Super war ein großer, eckiger Mann. In seiner äußeren Erscheinung war er etwas ungewöhnlich. Er trug alte, zerschlissene Anzüge, die noch aus der Zeit vor dem Krieg stammten. Sie waren gereinigt und gewendet, aber sie verdienten eigentlich ihren Namen nicht mehr. Sein längliches, braunes Gesicht und seine buschigen Augenbrauen gaben ihm ein respektables Aussehen, das jedoch durch seine schlechte Kleidung wieder zerstört wurde. Aber die Verachtung, mit der zum Beispiel Hanna Shaw seine Garderobe betrachtet hatte, erfüllte ihn mit freudiger Genugtuung.
Es gab mehrere Oberinspektoren bei der Londoner Polizei, aber wenn jemand von ›Super‹ sprach, meinte er damit nur Patrick J. Minter und niemand anders, »Nun gehen Sie und verhören Sie den Landstreicher, mein lieber Sergeant.« Er machte eine liebenswürdige Geste mit der Hand. »Die schwierige Aufgabe, Verbrecher aufzuspüren, gehört meiner Vergangenheit an. Das war etwas zu einfach für mich, dabei bekam ich Gehirnerweichung. Deshalb habe ich doch auch diese Stellung angenommen, wo ich mir auf dem Land Hühner und Kaninchen halten kann und wo ich der Natur in ihrer Schönheit nahe bin.«
Polizeibezirk I der Hauptstadt umfaßte jenen Teil der ländlichen Vororte Londons, die an Sussex grenzen, und es ist allgemein bekannt, daß dies ein etwas gemütlicher Bezirk ist, ein ruhiger Hafen, in den die Beamten dankbar einlaufen, wenn sie die Stürme von Limehouse, Greenwich und Noddingdale hinter sich haben. Der Bezirk I hatte hauptsächlich mit so aufregenden Verbrechen wie Landstreicherei und Wilddieberei zu tun. Hin und wieder wurde auch einmal ein Heuhaufen auf den Feldern angesteckt. Die Beamten hatten verlaufene Pferde und Rinder einzufangen und darauf zu achten, daß die Vorschriften über Maul- und Klauenseuche eingehalten wurden. Man nannte sie allgemein nur die Jockei, die Heuhüpfer oder die ›Verlorene Legion‹. Aber sie lebten in hübschen, kleinen Landhäusern, bebauten ihre Gärten, viele von ihnen betrieben sogar einen kleinen Handel mit Gemüse, und sie konnten zufrieden lächeln, wenn ihre neidischen Kameraden dumme Bemerkungen über ihr ländliches Leben machten.
Man hatte Super nicht von Scotland Yard an diesen ruhigen Platz versetzt, weil seine Vorgesetzten außerordentlich zufrieden mit ihm waren oder weil man seine ungewöhnlichen Verdienste belohnen wollte – er war einer der fünf großen Beamten, die damals die russische Bande in Whitechapel niederkämpften – , in Wahrheit war er versetzt worden, weil er verschiedenen höheren Beamten ein Dorn im Auge war. Super war eine stete Quelle der Beunruhigung. Er hatte vor niemand Respekt, er war zu niemand höflich, er konnte sich mit niemand vertragen. Er machte Schwierigkeiten, er diskutierte, und gelegentlich trotzte er auch. Aber das Unangenehmste war, daß er meistens recht hatte. Und wenn es sich herausstellte, daß seine Vorgesetzten unrecht und er recht hatte, so erwähnte er das im Laufe eines Tages mindestens zwanzig- bis dreißigmal.
»Was die Hauptsache ist«, fuhr er fort, »wenn ich mich mit diesem Landstreicher befassen soll, muß ich meine Studien unterbrechen. Ich bin jetzt gerade dabei, einen eingehenden Kurs über Kriminologie zu nehmen. Haben Sie niemals etwas von Lombroso gehört? Ich will wetten, nein – dann wissen Sie überhaupt nichts von Verbrechergehirnen. Ein gewöhnliches Hirn wiegt – ich habe es vergessen, wieviel. Aber die Verbrechergehirne sind leichter. Bringen Sie mir das Gehirn dieses Mannes, und ich werde Ihnen gleich sagen, ob er versuchte, in Barley Stack einzubrechen. Auch ist es wichtig, zu erfahren, ob er gelenkige Füße hat, mit denen er greifen kann. Wissen Sie nicht, daß fünf Prozent der Verbrecher Gegenstände mit ihren Zehen aufheben können? Nehmen Sie ein Maß und messen Sie diesen Strolch, prüfen Sie auch, ob er ein unsymmetrisches Gesicht hat. Früher war es verhältnismäßig schwierig, Bösewichte zu fangen, aber heutzutage ist es kinderleicht geworden!«
Sergeant Lattimer war zu klug, um seinen Vorgesetzten zu unterbrechen. Erst als sein Redestrom allmählich verebbte, schien ihm der günstige Moment gekommen, auch eine Bemerkung einzuwerfen.
»Super, das ist kein gewöhnlicher Einbruch, wenn man den Aussagen Sullivans Glauben schenken kann – so heißt nämlich dieser Kerl...«
»Nun hören Sie einmal zu. Landstreicher haben überhaupt keinen Namen«, sagte Super gelangweilt. »Da sind Sie auf einem ganz falschen Weg. Die heißen Johann oder Karl oder Klamottenaugust, aber sie haben keine Familiennamen.«
»Sullivan hat ausgesagt, daß der andere Landstreicher, der bei ihm war, ihn daran hinderte, Elsons Haus zu betreten und Geld zu stehlen. Er hat anscheinend nach etwas gesucht... «
»Vielleicht Grundstücksurkunden über alten Familienbesitz – mag sein. Oder den Geburtsschein des rechtmäßigen Erben«, sagte Super nachdenklich. »Auch möglich, daß Mr. Elson ein Mann aus amerikanischen Verbrecherkreisen ist, der den heiligen Rubin aus dem rechten Auge des Gottes Hokum gestohlen hat, und nun sind diese finsteren Inder auf seiner Spur und suchen eine günstige Gelegenheit. Das ist ein Fall für Cardew! Aber vielleicht werden Sie auch damit fertig. Also, fangen wir an! Sie werden dann in den Zeitungen erwähnt, und das bringt Ihnen das Lob Ihrer Vorgesetzten ein. Vielleicht heiraten Sie dann das Mädchen, das scheinbar eine Dienstmagd ist, sich später aber als Tochter eines Herzogs entpuppt, die in ihrer Jugend von Zigeunern gestohlen wurde – also lassen Sie sich nicht abhalten!«