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Reichsgräfin Gisela - ebook
Reichsgräfin Gisela - ebook
Das Buch „Reichsgräfin Gisela” enthält alles, was man von einem Roman erwarten kann – große Liebe, Verbrechen und Happy End -, aber auch Kritik an korrupter Politik und hochmütigem Adel. Die junge Gräfin Gisela leidet schwer unter den Verhältnissen, die das Leben bei ihren Stiefeltern prägen. Strenge Erziehung, Unterdrückung und Gängelung prägen die Kindheit des Mädchens, das mit den Jahren feststellen muss, dass ihre Stiefeltern sie zudem schamlos ausnutzen. Dann taucht ein fremder, wahnsinnig reicher und natürlich gutaussehender Portugiese auf. Und dieser Fremde hat augenscheinlich eine Rechnung offen mit der Familie des Barons Fleury. Dummerweise hat sich Gisela zu diesem Zeitpunkt bereits in ihn verliebt. Die junge Gräfin Gisela lernt durch die Liebe zu einem geheimnisvollen Unbekannten allmählich ihren Standesdünkel abzulegen und entwickelt sich zu einem mitfühlenden Menschen. „Reichsgräfin Gisela” gilt als ideologisch interessantestes Buch Marlitts.
Kategoria: | Classic Literature |
Język: | Inny |
Zabezpieczenie: |
Watermark
|
ISBN: | 978-83-8148-451-0 |
Rozmiar pliku: | 2,9 MB |
FRAGMENT KSIĄŻKI
Es war noch früh am Abend... Die kleine Neuenfelder Turmglocke erhob pflichtschuldigst ihre Stimme und schlug sechsmal an – das klang wie ein halbersticktes Wimmern; denn der Sturm sauste durch die Schallöcher und zerblies die dünnen Schläge nach allen vier Winden. Dabei lagerte bereits die undurchdringliche Finsternis einer lichtlosen Dezembernacht über der Erde... Daß da droben die funkelnden Sternbilder in wandellosem Glanze allmählich aus dem tiefdunkeln Grunde hervortraten, daß es unbeirrt leuchtete und glühte wie über der wolkenlosen, blütenduftenden Maiennacht – wer dachte daran angesichts der vorübersausenden Wetterwand, die Erde und Himmel schied?... Und wer dachte an lieblichen Mondenglanz, an das matte Silberlicht der nachtgeborenen himmlischen Wanderer inmitten der gewaltigen vier Wände, die wie ein riesiger Würfel in das Dunkel hineinragten und an deren Ecken der Sturm machtlos seine Flügel zerstieß?... Da drin funkelte und leuchtete es auch, aber in jener unheimlichen Glut, die ein Feuerstrom, durch Menschenhand gelenkt und gebändigt, um sich verbreitet. Der Neuenfelder Hochofen war in voller Tätigkeit.
Ein greller, blutigroter Schein entströmte dem Feuerkern des Vorherdes und floß über die nackten Quadern der Mauern und die geschwärzten Gesichter der schweißtriefenden Arbeiter.
Was dort hervorquoll in flutender Bewegung und als glühende Tränen geschmeidig vom Gießlöffel herabtropfte, das waren die Erze, die, Jahrtausende starr und kalt im Panzer der Erde zusammengeschichtet, nun während eines einzigen furchtbaren Lebensmomentes ineinander rannen, um dann nach menschlicher Willkür und Laune in irgendeiner Form zu erstarren.
Die Fenster des mächtigen Baues schimmerten nur matt nach außen, aber droben aus der Esse lohte die weithin sichtbare Glut, dann und wann eine Funkengarbe ausstoßend, als ob eine vermessene Faust eine Handvoll Sterne gegen den Himmel schleudern wollte – sie zerstoben wirkungslos im Dunkel, wie der Menschengedanke an den sieben Siegeln des großen Geheimnisses über uns.
In dem Augenblick, als es sechs Uhr schlug, wurde die Haustür der unweit der Gießerei gelegenen Hüttenmeisterwohnung leise aufgemacht; das sonst so vorlaute, unermüdlich nachklingende Türglöckchen schwieg dabei – es wurde offenbar mit vorsichtiger Hand gehalten, während eine Frau auf die Schwelle trat.
»Ei du liebe Zeit, 's ist unterdes Winter geworden! Da haben wir ja mit einemmal den allerschönsten Weihnachtsschnee!« rief sie. In diesem Ausruf lag eine heitere Überraschung, ein Ton, den man anschlägt beim plötzlichen Wiedersehen eines alten, lieben Bekannten... Die Stimme klang fast zu tief und markig für eine Frauenstimme; allein das verschlug den Pfarrkindern von Neuenfeld sehr wenig – sie schwuren auf das, was die Stimme ihrer Pfarrerin sagte, wie auf das Evangelium.
Die Frau schritt vorsichtig die schlüpfrige Freitreppe hinab. In dem langhingestreckten, schwachrötlichen Lichtstreifen, den ihr Laternchen über den Weg warf, flirrte und flimmerte es einen Augenblick ungestört im lautlosen Niedersinken. Aber nun fegte ein jäher Windstoß um die Ecke; er warf der Pfarrerin den großen Kragen ihres Mantels über den Kopf und zerstiebte den lockeren, federweißen Flaum auf Weg und Steg abermals in Atome.
Die Pfarrerin schlug den Kragen zurück, schob mit der Linken den gelockerten Kamm fester in die gewaltigen Haarflechten des Hinterkopfes und zog das um die Ohren gebundene Tuch schützend über die Stirn. Wie ein Reckenweib stand die große, festgegliederte Gestalt inmitten des staubenden Schneewirbels, und der Laternenschein beleuchtete Züge voll Kraft und Frische, eines jener energischen Gesichter, über die der strenge Atem des Winters, wie der Wechsel des Lebens gleich erfolglos hinstürmten.
»Nun will ich Ihnen etwas sagen, mein lieber Hüttenmeister!« wandte sie sich an den Mann zurück, der sie begleitet hatte und auf der Türschwelle stand. »Da drin durft' ich's nicht... Meine Tropfen sind gut, und auf den Fliedertee lasse ich auch nichts kommen, aber es kann nicht schaden, wenn die alte Röse heute nacht aufbleibt – vielleicht behalten Sie auch einen von den Hüttenleuten in der Nähe, wenn etwa doch der Doktor herüber müßte.«
Der Mann machte eine Bewegung des Schreckens.
»Tapfer, tapfer, lieber Freund, es kann nicht immer so glatt abgehen im Leben!« ermutigte die Pfarrerin. »Übrigens ist ja solch ein Doktor beileibe kein Werwolf, und man braucht nicht gleich an das Schlimmste zu denken, wenn man einmal mit ihm zu tun hat... Ich bliebe gern noch da – denn wie ich merke, sind Sie durchaus kein Held am Krankenbett –, aber meine kleinen Panduren daheim wollen essen; ich habe den Kellerschlüssel bei mir, und Rosamunde kann nicht zu den Kartoffeln... Und nun Gott befohlen! Geben Sie die Tropfen hübsch pünktlich – morgen in aller Frühe bin ich wieder da!«
Sie ging. Ihre Kleider blähten sich und flatterten wild auf, und der falbe, zitternde Lichtfleck der beunruhigten Laternenflamme hing bald droben an knarrenden Baumästen, bald kroch er scheu am Boden hin; aber mochte der Sturm auch wütend hinter ihr hersausen, die Frau ließ sich nicht treiben, ihre Schritte blieben fest und gleichmäßig, bis sie verhallten.
Der Hüttenmeister lehnte noch einen Moment in der Tür, und seine Augen verfolgten den tröstlichen Lichtschein, bis er in der Ferne erlosch.
Mittlerweile war es in den Lüften stiller geworden – der Sturm hielt den Atem an; von fern her tosten die niederstürzenden Wasser eines Wehres, und aus der Gießerei scholl das dumpfe Geräusch der Arbeit. Aber auch eilig sich nähernde Fußtritte wurden laut, und bald darauf bog eine männliche Gestalt um die Hausecke. Ein Soldatenmantel flog um die hageren Glieder des Mannes; er hatte sich die Schildmütze mit dem Taschentuch auf dem Kopfe festgebunden, und vor ihm her fiel es hell aus der großen Stallaterne, die er in der Linken trug.
»Was, zwischen Tür und Angel bei dem Lüftchen, Hüttenmeister?« rief er, als das Laternenlicht auf den einsam dort lehnenden Mann fiel. »Aha, da ist also der Student nicht angekommen, und Sie schauen noch nach ihm aus wie?«
»Ach nein, Bertold ist schon seit heute nachmittag da, aber er ist krank und macht mir viel Sorge«, entgegnete der Hüttenmeister. »Kommen Sie doch herein, Sievert!«
Sie traten in das Haus.
Es war eine große, ziemlich niedrige Stube, die der Hüttenmeister öffnete. Draußen tobte eben der Sturm mit erneuter Wut gegen die alten Wände, die, nach innen so traut und friedlich, liebe Familienbilder auf ihrer helltapezierten Fläche trugen. Ein feiner Luftzug drang freilich durch die Fensterritzen und bewegte dann und wann leise die großgeblumten Kattunvorhänge, aber sie verhüllten fest zusammengezogen die Scheiben und das wilde Schneetreiben jenseits derselben. Ist etwas geeignet, eine Familienstube auf dem Thüringer Wald heimisch und gemütlich zu machen, so ist es der gewaltige Kachelofen, der oft selbst im Hochsommer seine Tätigkeit nicht einstellt. Auch hier ragte er riesig und dunkel weit in das Zimmer hinein, und die erhitzten Kacheln verbreiteten eine gleichmäßige köstliche Wärme. So hätte die altväterlich eingerichtete Eckstube leicht das Gefühl der Behaglichkeit erwecken können, wäre nicht der ominöse Duft des Fliedertees gewesen, der die Luft erfüllte; ein eilig aus grünem Papier hergestellter Schirm dämpfte das Lampenlicht, und der Perpendikel hing bewegungslos in der hölzernen Wanduhr – lauter Anstalten, die eine vorsorgliche Frauenhand verrieten.
Der Gegenstand aller dieser Umsicht und Fürsorge schien sich jedoch vorläufig noch energisch gegen die Krankenrolle zu sträuben. Es war ein blutjunges Menschenkind, das den Kopf unaufhörlich zwischen den weißen Kissen des einstweilen auf dem Sofa hergerichteten Lagers hin und her warf; die wärmende Decke war zum Teil auf den Fußboden herabgeglitten, und der ungeduldige Patient schob eben die gefüllte Teetasse grollend weit von sich, als die beiden Männer eintraten.
Wir sehen jetzt den Hüttenmeister in einem vollen Strahl der Beleuchtung, den der unbedeckte Teil der Lampe auf ihn wirft. Er ist ein auffallend schöner junger Mann von imposanter Gestalt. Wir begreifen nicht, wie er sich unter der niedrigen Zimmerdecke so zwanglos bewegen kann – man meint, sie müsse seinen lockigen Scheitel streifen. Seltsam kontrastiert das aschblonde Haupt- und Barthaar mit den schöngeschwungenen, sehr dunkeln Brauen; sie sind über der Nasenwurzel zusammengewachsen und geben dem Gesicht etwas unbeschreiblich Melancholisches – der Volksglaube sieht in dieser eigentümlichen Bildung einen Stempel des Unglücks, die untrügliche Prophezeiung eines traurigen Schicksals.
Dem unbeteiligten Beobachter würde es sicher nicht einfallen, den Kranken und diesen hochgewachsenen Mann für Blutsverwandte zu halten. Dort das knabenhafte, magere Gesicht mit dem bleichen, alabasterartigen Teint und der römischen Profillinie unter einer köstlichen Fülle bläulich-schwarzer Locken, und hier der deutsche Typus, eine blühend kräftige, blondbärtige Männergestalt, das untadelhafte Bild der Thüringer Edeltanne – und doch sind die beiden Brüder, zwei Menschen, die nur noch ein Familienband besitzen, das unter sich.
Der Hüttenmeister trat rasch an das Bett, hob die Decke empor und verhüllte den Kranken bis über die Schultern; dann nahm er die verächtlich weggeschobene Tasse und hielt sie an dessen Lippen. Das geschah schweigend, aber mit einem unabweisbaren Ernst, gegen den sich schlechterdings nichts einwenden ließ. Der rebellische Patient wurde plötzlich sanftmütig und leerte die Tasse pflichtschuldigst bis auf die Neige; darauf ergriff er mit einer leidenschaftlich zärtlichen Gebärde die Hand des Bruders, und seine Wange daran schmiegend, zog er sie mit sich auf das Kissen nieder.
Währenddem war der Mann im Reitermantel auch näher getreten.
»Na, junger Herr, ist das auch eine Art, ins Quartier einzurücken? Pfui, schämen Sie sich!« sagte er, indem er die Laterne auf den Tisch stellte. Diese Anrede sollte jedenfalls humoristisch klingen; durch die eigentümlich rauhe und ungefügige Stimme des Mannes erhielt sie jedoch weit mehr den Charakter einer derb polternden Zurechtweisung – ein Eindruck, der noch verstärkt wurde durch das unwandelbar finstere Gepräge der Gesichtszüge – sie sahen fast zigeunerhaft dunkel aus der Umhüllung des grellroten baumwollenen Taschentuchs.
Der Angeredete fuhr empor; eine jähe Röte flammte über das blasse Gesicht, und seine aufgeregten Augen hefteten sich finster forschend auf den Eingetretenen, den er bis dahin nicht bemerkt hatte. Dabei zuckte seine Rechte unwillkürlich nach dem auf dem Tisch liegenden Cereviskäppchen, dem Abzeichen seiner Würde als Student und Burschenschafter.
»Laß gut sein, Bertold!« sagte, lächelnd über diese Bewegung, der Hüttenmeister. »Es ist ja unser alter Sievert –«
»Ei, was wird denn das junge Blut vom alten Sievert wissen?« fiel ihm der Mann im Soldatenmantel trocken in das Wort. »Als flotter Bursche weiß einer nicht mehr, wie gut ihm der Kinderbrei geschmeckt hat – gelt, Herr Student?... Da, just auf der Stelle, wo Sie jetzt liegen, stand dazumal die Wiege, und da lag der kleine Kerl drin und strampelte und schrie nach der toten Mutter und schlug dem Vater und der Röse den Breilöffel aus der Hand – weiß der Henker, was Ihnen an meinem Gesicht so besonders gefallen hat, aber da wurden Boten über Boten in das Schloß geschickt, und der Sievert mußte her und den Kleinen füttern... Hei, wie er lachte! Die Tränen kollerten noch über die Backen, aber der Brei rutschte glücklich hinunter!«
Der Student reichte dem Sprechenden beide Hände über den Tisch hinüber. Der knabenhafte Trotz in seinen Zügen war einem fast mädchenhaften kindlichen Ausdruck gewichen. »Das hat mir mein Vater oft genug erzählt«, entgegnete er mit weicher Stimme, »und seit Theobald Hüttenmeister in Neuenfeld geworden ist, hat er mir auch viel von Ihnen geschrieben.«
»So, so – kann sein«, brummte Sievert. Damit schien er jede weitere Erörterung abschneiden zu wollen. Er schlug seinen Mantel zurück, und der Anblick, den er jetzt darbot, machte den Studenten hell auflachen. Am rechten Arm hing ihm ein Henkeltopf aus weißem Blech, daneben ein Weidenkorb, in dem ein Brot lag; an einem seiner Rockknöpfe baumelte ein Bündel Unschlittkerzen, und aus der Brusttasche guckte der Glasstöpsel eines Rumfläschchens im Verein mit einer gefüllten Papiertüte.
»Ja, ja, da lachen Sie nun!« sagte der Alte – diesmal konnte man leicht eine starke Dosis Groll, aber auch einen Anstrich von Resignation aus der harten Stimme heraushören. »Dazumal war ich Kindermagd, und jetzt bin ich Küchenjunge – hat mir mein Vater auch nicht an der Wiege gesungen... Was soll man nun da sagen!... Die alte Frau trinkt keine Ziegenmilch, das weiß Fräulein Jutta besser als ich, aber wenn ich nicht daran denke, daß Kuhmilch im Dorfe geholt wird, da geschieht es auch ganz gewiß nicht... Ich komme heute mit todmüden Beinen aus dem Walde, habe ein hübsches Bündel Holz zusammengeschlagen und freue mich auf die warme Stube – ja post festum, da ist die Milch vergessen, keine Krume Brot im Schranke, und auf dem Leuchter steckt das letzte Stümpfchen Licht. Fräulein Jutta aber ist aufgedonnert, als ging's zu einer Hoftafel beim Kaiser von Marokko, und spricht von – Teegesellschaft; na, die hätte uns noch gefehlt im Waldhause! Möchte nur wissen, mit was sie den Herrn Studenten hat traktieren wollen! O über –«
Während Sieverts Schilderung war der Hüttenmeister flammendrot geworden; bei dem letzten Ausruf aber hob er drohend den Zeigefinger, und ein so zornsprühender Blick traf den Alten, daß er scheu die Augen wegwandte und den Satz unvollendet ließ. Der Student dagegen war das Bild der gespanntesten Aufmerksamkeit – er hatte beide Arme auf den Tisch gelegt, und seine Augen hingen unverwandt an den Lippen des Sprechenden.
»Na, und Bauernbrot kann ich der alten Frau auch nicht auf den Tisch bringen«, fuhr Sievert nach einer Pause ablenkend fort; »da bin ich noch nach Arnsberg gelaufen, und der Schloßverwalter hat mir nolens volens dies Brot da herausrücken müssen... Der weiß übrigens auch nicht, wo ihm der Kopf steht. In der Küche hantiert der Koch aus A.; ein halb Dutzend Bediente rennt hin und her; es wird gesäubert, geheizt und beleuchtet aus Leibeskräften – Seine Exzellenz, der Minister, kommt trotz Sturm und Schneewetter heute abend noch nach Arnsberg. In A. und ganz besonders in seinem Hause ist der Typhus ausgebrochen, und da will er die kleine Gräfin in Person auf das einsame Arnsberg reiten.«
Ein Zug tiefen Mißbehagens ging durch das schöne Gesicht des Hüttenmeisters. Er schritt rasch einigemal im Zimmer auf und ab.
»Und wissen Sie nicht, wie lange der Minister hier bleiben will?« fragte er stehen bleibend.
Sievert zuckte die Achseln.
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